Der Große Sprung nach vorn:

»Es kann gut sein, dass halb China sterben muss«

(1958-1961, 64-67 Jahre)

 

 

Mao machte große Fortschritte bei der Ankurbelung seines Super­machtprogramms, obwohl er dessen militärischen Charakter nach wie vor verbarg. In der Bevölkerung blühte und gedieh der Personenkult um ihn, seine Kollegen in der Parteiführung ordneten sich ihm unter, und potenziell kritische Stimmen wurden durch die »Kampagne gegen Rechts­abweichler« zum Schweigen gebracht. Der ursprüngliche, aus dem Jahr 1953 stammende Zeitplan, der vorsah, die »Industrialisierung« des Lan­des in »zehn bis fünfzehn Jahren« zu vollenden, wurde jetzt auf acht, sie­ben, sogar fünf - oder möglicherweise drei - Jahre verkürzt.1

Mao war mitgeteilt worden, dass er mit Hilfe von Lieferungen aus Russland innerhalb von fünf Jahren zu den bestehenden Supermächten aufschließen könne. Ihm gefiel der Gedanke, seine Ambitionen mit einem einzigen »großen Knall« zu verwirklichen, weshalb er auch erklärte, dass »unsere Nation wie ein Atom ist«.2 Er nannte diesen Prozess den »Großen Sprung nach vorn« und brachte ihn im Mai 1958 auf den Weg.1Der Nation wurde in vagen Andeutungen verkündet, Chinas Ziel bei diesem Sprung sei es, »alle kapitalistischen Länder in recht kurzer Zeit zu überholen und zu einem der reichsten, fortschrittlichsten und mächtigsten Länder der Erde zu werden«.4 Nur vor kleiner Zuhörerschaft und streng vertraulich erläuterte Mao, was er im Sinn hatte, sobald der Sprung vollendet wäre. Vor einer Gruppe von Eliteoffizieren erklärte er am 28. Juni 1958: »Der Pazifik ist heute noch nicht friedlich. Er kann nur befriedet werden, wenn wir ihn übernehmen.«5 An dieser Stelle warf Lin Biao ein:Wir müssen große Schiffe bauen und uns darauf vorbereiten, in Japan, den  Philippinen und in San Francisco zu landen [im Klartext bedeutete das: mit der Kriegsmarine].« Mao fuhr fort: »Wie viele Jahre wird es dauern bis wir solche Schiffe bauen können? Das wird 1962 geschehen,Wir verfügen über xxx Tonnen Stahl [die Zahl wird im Original nicht genannt].« Einem ausgesuchten Kreis von Provinzparteichefs sagte Mao am 19. August: »Später einmal werden wir das Weltkontrollkomitee einrichten und einen einheitlichen Plan für die Erde aufstellen.«Mao beherrschte jetzt China. Er wollte die ganze Welt beherrschen.

Mao machte große Fortschritte bei der Ankurbelung seines Supermachtprogramms, obwohl er dessen militärischen Charakter nach wie vor verbarg. In der Bevölkerung blühte und gedieh der Personenkult um ihn, seine Kollegen in der Parteiführung ordneten sich ihm unter, und potenziell kritische Stimmen wurden durch die »Kampagne gegen Rechtsabweichler« zum Schweigen gebracht. Der ursprüngliche, aus dem Jahr 1953 stammende Zeitplan, der vorsah, die »Industrialisierung« des Landes in »zehn bis fünfzehn Jahren« zu vollenden, wurde jetzt auf acht, sieben, sogar fünf - oder möglicherweise drei - Jahre verkürzt.1 Mao war mitgeteilt worden, dass er mit Hilfe von Lieferungen aus Russland innerhalb von fünf Jahren zu den bestehenden Supermächten aufschließen könne. Ihm gefiel der Gedanke, seine Ambitionen mit einem einzigen »großen Knall« zu verwirklichen, weshalb er auch erklärte, dass »unsere Nation wie ein Atom ist«.2 Er nannte diesen Prozess den »Großen Sprung nach vorn« und brachte ihn im Mai 1958 auf den Weg.1

Der Große Sprung war für die chinesische Bevölkerung tatsächlich ein gewaltiger Satz - bei der Menge der beschlagnahmten Lebensmittel! Auf dieser Basis wurden die für Maos Programm benötigten Geldmittel berechnet, nicht anhand der Menge, die die Bauern tatsächlich abgeben konnten. Mao behauptete einfach, bei der nächsten Ernte werde es eine enorme Ertragssteigerung geben, und ließ dann durch die jeweiligen Provinzparteichefs verkünden, in ihrem Gebiet werde ein astronomisch hohe Ertrag eingefahren werden.7 Als die Erntezeit herannahte, ließen die Provinzparteichefs ihrerseits durch ausgewählte Lakaien an der Basis kolportieren, ihr Gebiet habe tatsächlich eine phantastische Ernte erzielt.8 Maos Propagandamaschine brachte diese Behauptungen dann mit großem Getöse unter die Leute. Die imposanten Ernteergebnisse und andere hochfliegende Phantasieprodukte wurden als »Sputniks« bezeichnet ...Die »Sputnik-Felder« breiteten sich mit atemberaubender Geschwindigkeit aus. Sie entstanden zumeist durch die Verpflanzung erntereifer Feldfrüchte, die auf verschiedenen Feldern wuchsen, auf eine einzige künstliche Parzelle. Das war die maoistische Variante der Potemkinschen Dörfer, wobei der entscheidende Unterschied darin bestand, dass Maos Parzellen nicht konstruiert wurden, um den Herrscher zu täuschen, son­dern vom Herrscher selbst erdacht wurden zur Irreführung seiner fernen Untergebenen, der Kader an der Basis, die auf anderen Genossenschaftsbetrieben arbeiteten.10 Die Volkszeitung berichtete am 12. Juni, dass eine »Sputnik-Kooperative« in Henan, Maos in jeder Hinsicht vorbildlicher Musterprovinz, einen Ertrag von 1,8 Tonnen Weizen pro mu (das entspricht einer Fläche von knapp sieben Ar) erzielt habe - mehr als das Zehnfache der vorgegebenen Norm. Behauptungen dieser Art waren nicht - wie uns die offizielle chinesische Geschichtsschreibung glauben machen will - das Ergebnis spontan formulierter Prahlereien örtlicher Kader oder Bauern. Die Presse war Maos Sprachrohr und keineswegs die Stimme des Volkes. Diese Kader waren für Mao äußerst wichtig, denn das waren die Menschen, die vor Ort die Übergabe der Ernteerträge an den Staat überwachten. Mao wollte, dass sie diese Sputnik-Felder sahen und dann, nach der Rückkehr an ihren eigentlichen Wohn- und Einsatz­ort, ähnliche Behauptungen aufstellten, so dass der Staat sagen konnte: Wenn ihr mehr produziert habt, können wir auch mehr beanspruchen. Kader, die sich weigerten, an diesem Verfahren mitzuwirken, wurden verurteilt und durch willfährige Personen ersetzt. Die Zeitungen waren immer noch voll mit grotesken Berichten über riesige Ernteerträge, als Peking bereits aller Stille das Transplantations-Theater stoppte, weil es zu hohen Verlusten führte."

Die Volkszeitung verkündete Ende Juli, dass »wir so viele Nahrungsmittel produzieren können, wie wir nur wollen«, und bereitete damit die Basis für Mao, der am 4. August öffentlich erklärte: »Wir müssen uns überlegen, was wir mit all diesen überschüssigen Nahrungsmitteln tun wollen.«12 Die Behauptung, es gebe überschüssige Nahrungsmittel, kann Mao unmöglich selbst geglaubt haben. Nur sechs Monate zuvor, am 28 Januar 1958, hatte er vor dem Rat der Zentralen Volksregierung eingestanden, dass es eine Lebensmittelknappheit gebe, und dabei gefragt: »Was sollen wir tun, denn es gibt nicht genug zu essen? «11 Sein Lösungs­vorschlag lautete wie folgt: Nichts Schlimmeres als einfach nur weniger zu essen ... Nach orientalischer Art ... Das ist gut für die Gesundheit. Die Menschen im Westen ernähren sich sehr fettreich; je weiter man nach Westen kommt, desto mehr Fett essen die Menschen. Ich sage, dass die westlichen Fleischesser verachtenswerte Leute sind.« - »Ich bin der Ansicht, dass es gut ist, weniger zu essen. Was hat man davon, wenn man viel isst und einen dicken Bauch bekommt, so wie die ausländischen Kapitalisten in Karikaturen?« Diese lässig dahingesagten Bemerkungen passten gut zu Mao, der einen dicken Bauch hatte, für hungernde Bauern jedoch waren sie bedeutungslos. Im Januar hatte Mao noch gesagt: Es gibt nicht genug Lebensmittel, aber die Menschen können weniger essen. Sechs Monate später behauptete er: Es gibt einen Überschuss an Lebensmitteln. Diese beiden widersprüchlichen Bemerkungen dienten dem gleichen Zweck: Den Bauern sollten mehr Lebensmittel abgepresst werden.

Die Volkszeitung berichtete im September, der bisher »größte Reis-Sputnik« habe auf einer Fläche von weniger als acht Ar 70 Tonnen Reis produziert, mehr als das Hundertfache der Norm. Ein ehrgeiziger neuer Bezirksparteichef in Guangxi hatte dieses Sputnik-Feld erfunden.14 Zum Jahresende reklamierte sein Bezirk eine Getreideproduktion, die um mehr als das Dreifache über dem tatsächlichen Ergebnis lag. Der Staat stellte daraufhin eine unmögliche Forderung - das 4,8-fache der Zwangsabgabe des Vorjahres.Die Kader an der Basis gingen oft mit brutaler Gewalt vor, und wenn ihre  Aktionen als ineffizient eingestuft wurden, traten bewaffnete Polizisten  an ihre Stelle. Mao wies seine Provinzparteichefs am 19. August 1958 "Wenn   ihr die Herausgabe von Gütern verlangt und diese nicht übergeben werden, dann unterstützt Eure Befehle durch die Anwendung von Gewalt.«15 Die staatliche Gewalt wütete.

Um sich eine »Rechtfertigung« zu verschaffen, behaupteter Mao wiederholt, Bauern und dörfliche Kader würden Getreide verstecken.   Am 27.  Februar 1959 beispielsweise erklärte er vor Spitzenfunktionären- »Alle Produktionsgruppen verstecken ihre Nahrungsmittel, um sie dann unter sich aufzuteilen. Sie verstecken sie sogar in tiefen, geheimen Kellern und stellen Wachposten auf ...« Am nächsten Tag behauptete er abermals, die Bauern würden »tagsüber Karottenkraut und nachts dann Reis essen ...» Mao zeigte vor dem engsten Führungskreis seine Verachtung für die Bauernschaft ganz offen: »Die Bauern verstecken Nahrungsmittel und verhalten sich sehr schlecht. Sie haben keinerlei kommunistische Ge­sinnung! Bauern sind schließlich nur Bauern. Sie können sich nicht anders verhalten.«

Die Behauptung, China habe »zu viel zu essen«, wurde auch in Gesprächen mit Chruschtschow eingesetzt. Als dieser im Sommer 1958 nach Peking kam, ging ihn Mao um Hilfe beim Bau von U-Booten an, ein Vorhaben, das für China sehr kostspielig werden würde. ….

Mao wusste ganz genau, dass die Bauern keine Nahrungsmittel zu ver­stecken hatten. Er verfügte über ein effektives Berichtssystem und war über das tägliche Geschehen im ganzen Land sehr gut informiert. Auf einem Stapel von Berichten hielt er im April 1959 fest, dass im halben Land eine schreckliche Hungersnot herrsche: »Ein großes Problem: 15 Provinzen - 25,17 Millionen Menschen haben nichts zu essen.« Seine Antwort war eine Aufforderung an die Provinzen, sich »der Sache anzu­nehmen«, doch wie das geschehen sollte, sagte er nicht.17 Am 18. No­vember 1958 erreichte ihn ein Bericht aus der Provinz Yunnan, in dem eine ganze Reihe von Todesfällen beschrieben wurden, die auf Ödeme zu­rückgingen - auf Schwellungen, die von schwerer Unterernährung ausge­löst werden.18 Maos Antwort erschöpfte sich erneut in der Weitergabe des Schwarzen Peters: »Für diesen Fehler sind hauptsächlich die Kader auf dem Land verantwortlich.« Mao wusste, dass die Menschen vielerorts nur noch Erdklumpen zu essen hatten.19 In einigen Fällen starben deshalb ganze Dörfer an Darmverschluss.Der landesweite Zwang zur Abgabe von Nahrungsmitteln ermöglichte Mao im Jahr 1959 den Export von 4,74 Millionen Tonnen Getreide im Wert von 935 Millionen Dollar. Auch die Exportmengen anderer Nah­rungsmittel schössen in die Höhe, am auffälligsten war das beim Schwei­nefleisch.20

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Anmerkung des Autors dieser Seiten :

Es bedarf wohl sehr starker Nerven, über derartige "Politik",  deren Anspruch auf "sozialistischer Ideologie" zu lesen!

Die Massen- Demonstrationen der Pekinger auf dem Platz des himmlischen Friedens 1989 endeten mit einem  Massaker, Bilder von Panzern am großen Tor zur "Halle des Volkes" (!) sollten uns erinnern, dass die Menschen in China trotz gewaltiger Fortschritte im Lebensniveau einer großen Mittelschicht -die Oberschicht lebte schon immer luxuriös- echte Reformen verdient haben!

Noch heute bedienen sich korrupte Funktionäre analoger Methoden, um schnell reich zu werden. Die Spaltung des Landes zwischen der herrschenden Oberschicht der Staats-  und Parteifunktionäre und der Millionen- Masse der einfachen Arbeiter und Bauern ist die Fortsetzung der Methoden, wie wir sie hier gelesen haben. Allerdings - heute geht es um großes persönliches Eigentum..

Dieser Reichtum basiert auf einem Staats- Sozialismus, der die Ausbeutung der Menschen in großem Stile betreibt. Und viele Menschen leben noch immer in der Erinnerung der Allmacht der Partei, die unter Maos Zeiten viele Millionen Tode als Grundlage von Angst und Gehorsam nutzte.