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Boris Jelzin

Erster stellvertretender Vorsitzender des Komitees für Bauwesen der UdSSR,

Minister der UdSSR

Aus

"Offene Worte"  Gorbatschow, Ligatschow , Jelzin und 4991 Delegierte diskutieren im  Juni 1988 über den richtigen Weg... (ISBN 3.89190-701-x [2000]  Verlag "GRENO 1020"

(Artikel leicht gekürzt ; Hervorhebungen .G.J. )

Boris Jelzin

Diskussionsrede auf der 19. Gesamtkonferenz der KPdSU (Juni 1988)

Genossen Delegierte!

Erstens muss ich zu den Fragen des Delegierten Genossen Sagainow Stellung nehmen.

Die erste Frage. Weshalb habe ich Interviews ausländischen Fernsehanstalten und nicht unserer Presse gegeben. ….

Weiter gab es Fragen, die Genossen Ligatschow betroffen haben. Ich sagte, dass ich mit ihm gleiche Ansichten in strategischer Hinsicht sowie zu den Beschlüssen des Parteitages, zu den Aufgaben der Perestroika etc. habe. Wir haben unterschiedliche Auffassungen betreffend der Taktik der Perestroika, in Fragen der sozialen Gerechtigkeit und bei der Einschätzung seines Arbeitsstils. Details nannte ich keine. Es gab auch die folgende Frage: »Glauben Sie, dass die Perestroika schneller vor sich gehen würde, wenn den Posten Ligatschows ein anderer eingenommen hätte? « Ich habe mit »ja« geantwortet. Was die Verzerrung meiner Aussagen betrifft, so hat die Fernsehan­stalt CBS (USA) mein Dementi wiedergegeben und mir eine schriftliche Entschuldigung mit der Unterschrift des stellvertretenden CBS-Chefs zukommen lassen…..

Nun mein Redebeitrag.

Genossen Delegierte! Das Hauptproblem der Konferenz und die ihr zugedachte Intention ist die Demokratisierung der Partei. Ich meine, dass es mit der Zeit eine starke Deformierung in negativer Richtung gegeben hat. Selbstverständlich zählt zum Hauptproblem die Diskussion über die derzeitigen brennenden Fragen der Perestroika insgesamt und der revolutionären Erneuerung der Gesellschaft. Die Vorbereitung der Konferenz selbst hat ein außerordentliches Interesse hervorgerufen und die Hoffnungen der Kommunisten und aller Sowjetmenschen geweckt. Die Perestroika hat das Volk wach gerüttelt. Wahrscheinlich ist es so, dass man mit der Perestroika gerade bei der Partei hätte beginnen sollen. Dann hätte die Partei wie immer die anderen angeführt. Doch gerade vom Standpunkt der Perestroika aus hinkt die Partei nach. Das heißt, dass man die jetzige Konferenz schon viel früher hätte durchführen müssen. Das ist mein persönlicher Standpunkt.

Doch die Vorbereitung zur Konferenz verlief auch zum jetzigen Zeitpunkt irgendwie überhastet. Die Konferenzthesen sind zu spät veröffentlicht und noch dazu vom ZK-Apparat aufgesetzt worden. Über das politische System ist in den Thesen das wesentliche, was im Referat vorgekommen ist, nicht gesagt worden. Zur Ausarbeitung der Thesen ist nicht einmal die Mehrheit der ZK-Mitglieder herangezogen worden. Es wird natürlich nicht gelingen, in den Beschlüssen der Konferenz alle Erfahrungen des Volkes zu berücksichtigen.

Die Wahl der Delegierten verlief, trotz des Versuches des Genossin Rasumowa in der PRAWDA diese als demokratisch hinzustellen, in einigen Organisationen nach altbewährten Mustern. Das beweist neuerlich, dass der Apparat in den obersten Etagen die Perestroika noch nicht angegangen hat.

Doch die Diskussionen auf der Konferenz selbst verlaufen interessant. Die Hauptfrage lautet nun: Welche Beschlüsse werden gefasst? Werden sie die Kommunisten des Landes und die Gesellschaft insgesamt zufriedenstellen? Wenn man den ersten Konferenztag einschätzt, so gaben die Eindrücke Anlass zur Vorsicht und hinterließen, so würde ich sagen, einen deprimierenden Eindruck. Doch von Tag zu Tag stieg die Spannung und es wird immer interessanter, den Reden der Delegierten zuzuhören, was voraussichtlich auch seinen Niederschlag in den Beschlüssen finden wird.

Ich möchte einige Anmerkungen und Vorschläge zu den Thesen des ZK unter Berücksichtigung des Referats vom Genossen Gorbatschow machen.

Zum politischen System. Für das wichtigste halte ich, dass es in der Partei und im Staat einen Mechanismus gibt, der solche Fehler, die das Land um Jahrzehnte zurückgeworfen haben, völlig unmöglich macht. Dieses System soll die Herausbildung von »Führern« und eines »Führertums« ausschließen und eine echte Volksherrschaft herstellen, sowie für diese feste Garantien schaffen.

Der im Referat gemachte Vorschlag über die Vereinigung der Funktionen des ersten Parteisekretärs und des Sowjetvorsitzenden in einer Person kam für die Delegierten derart unerwartet, dass ein hier anwesender Arbeiter meinte, er »verstehe es noch nicht«. Als Minister sage ich, dass ich das auch noch nicht verstehe. Zum Überlegen braucht man Zeit, denn die Frage ist zu kompliziert. Nachher schlage ich zu dieser Frage die Durchführung einer Volksabstimmung vor. (Applaus.)

Einige Vorschläge zu den Wahlen: Diese müssen allgemein, direkt und geheim sein. Das sollte auch für die Wahl der Sekretäre, des Generalsekretärs des ZK, auf der unteren Ebene aus dem Büro (Arbeitsorgan) des Gebietsparteikomitees oder des Politbüros gelten, die ebenfalls von allen Kommunisten auf gleiche Art und Weise gewählt werden (käme zwei Wahlgängen gleich). Gleicher Modus sollte bei den Wahlen in den Obersten Sowjet, in den Gewerkschaften und im Kommunistischen Jugendverband Komsomol angewendet werden. Ohne jegliche Ausnahmen, was besonders für die obersten Machtorgane anzuwenden wäre, soll die Amtsdauer auf zwei Wahlperioden eingeschränkt werden. In diesen Ämtern, einschließlich des Politbüros sollten exakte Alterslimits eingehalten werden. Und zwar 65 Jahre. Die Amtsdauer soll von den letzten Wahlen an und das Alterslimit ab diesem Jahr berücksichtigt werden. Unsere Partei und unsere Gesellschaft insgesamt sind reif genug, diese Fragen zu lösen. Davon würde die Perestroika nur profitieren.

Das alles und nicht das von einigen vorgeschlagene Zweiparteien­ System werden meiner Auffassung nach einen Garanten gegen den Personenkult bilden, der nicht alle 10 oder 15 Jahre, sondern gleich entsteht, sofern es dazu einen Nährboden gibt. Ich denke, dass wir schon jetzt dafür sorgen sollten, denn die Negierung Leninscher Prinzipien hat in den vergangenen Jahren dem Volk genügend Leid gebracht. Wir brauchen in dieser Hinsicht feste Hindernisse auf Gesetzes- oder Statutenebene.

In einigen Ländern gilt die Regel: Gemeinsam mit dem Führer des Landes tritt auch die Führungsgarnitur ab. Bei uns wurde es zur Gewohnheit, die Verstorbenen für die Sünden verantwortlich zu machen. Umso mehr, da diese sich ja nicht wehren können. Jetzt ist es so, dass Breschnew allein die Schuld an der Stagnation trägt. Wo waren diejenigen, die seit 10, 15 und 20 Jahren und noch immer im Po­litbüro sitzen? Jedes Mal haben sie den divergierendsten Programmen zugestimmt. Warum haben sie geschwiegen, als ein einzelner nach Vorlagen des ZK-Apparats über das Schicksal der Partei, des Landes und des Sozialismus entschieden hat? Die stimmten solange zu, bis ein einzelner fünf Sterne des Helden der Sowjetunion erhalten hat und die Gesellschaft insgesamt in eine Krise schlitterte. Weshalb ist der Kranke Tschernenko für den Posten des Generalsekretärs vorgeschlagen worden? Das Komitee für Parteikontrolle, das für relativ geringfügige Abweichungen vom Parteistatut Strafen ausspricht, hat sich nicht getraut und traut sich auch heute nicht, führende Leiter auf Republik- und Gebietsebene wegen Korruption und wegen Millionenschäden am Staat zur Verantwortung zu ziehen. Obwohl man über einige dieser Fälle Bescheid weiß. Es muss gesagt werden, dass das nachsichtige Verhalten des Genossen Solomenzew gegenüber Bestechungsgelder- Millionären eine gewisse Beunruhigung hervor­ruft. Ich bin der Meinung, dass einige Mitglieder des Politbüros als Mitglieder eines Kollektivvorgangs, das vom ZK und der Partei mit Vertrauen ausgestattet wurde, Schuld tragen und die Frage beantworten müssen: Weshalb ist das Land und die Partei in einem derartigen Zustand? Nachher müssen Konsequenzen gezogen und diese Leute aus dem Politbüro entfernt werden. (Applaus.) Das ist eine humanere Vorgangsweise, als posthume Kritik und Verfrachtung von einem Grab ins andere! Für die Zukunft schlage ich vor, dass beim Wechsel des Generalsekretärs auch das Politbüro (außer den kurz zuvor gewählten Mitgliedern) und der ZK-Apparat erneuert werden. Auf diese Art und Weise werden sich die Leute nicht in einem ständigen administrativen Fangeisen befinden. Dann werden Personen nicht nur nach ihrem Tod kritisiert. Sie werden wissen, dass sich vor der Partei jeder zu verantworten hat, darunter auch das gesamte gewählte Organ.

Noch etwas: Obwohl eine exakte Erklärung des Generalsekretärs vorliegt, wonach es keine Verbotszonen für Kritik einschließlich sei­ner Person gibt, ist die tatsächliche Situation anders. Diese Zone, diese Linie existiert. Beim ersten Versuch einer Kritik folgt die Warnung »Nicht anfassen! « Deshalb kommt es dazu, dass sogar ZK-Mitglieder sich nicht trauen, ihre Meinung zu sagen, wenn diese vom Grundsatzreferat abweicht. Das schafft den größten Schaden, deformiert das Parteigewissen und die Persönlichkeit. Das führt dazu, dass bei jedem Vorschlag unter dem Motto »Es existiert die Meinung« sofort alle mit »Ja« stimmen. Die jetzige Konferenz ist die erste Ausnahme von dem, was bereits zu Regel geworden ist. Bisher ist es so, dass von der Führung vorgetragene Politik ihren Wesenszügen nach widerspruchslos hingenommen wird. Sie bleibt auch heute außerhalb der Kritik und der Kontrolle der Volksmassen.

Man sollte dem im Referat vorgebrachten Vorschlag zustimmen, dass zu verschiedenen Bereichen aus den ZK-Mitgliedern Kommissionen gebildet werden sollen, ohne deren Begutachtung und Zustimmung keine grundsätzlichen Beschlüsse des ZK angenommen werden dürfen. Derzeit ist es so, dass die Beschlüsse ihrem Wesen nach nicht vom ZK, sondern vom ZK-Apparat gefasst und sofort zu Totgeburten werden. Große Projekte sollten von der gesamten Partei und im ganzen Land diskutiert werden, wobei Volksabstimmungen durchgeführt werden sollten. Im allgemeinen sollte auf gemeinsame Beschlüsse des ZK und des Ministerrates verzichtet werden.

Ja, wir sind auf den Sozialismus und auf das Geleistete stolz, doch sollten wir nicht überheblich sein. Denn in den Siebzigerjahren ha­ben wir die Hauptprobleme nicht gelöst: Die Menschen zu ernähren und zu kleiden, eine Dienstleistungsphäre zu schaffen und soziale Probleme zu lösen. Auf diese Bereiche konzentriert sich die Peres­troika, doch geht sie mit großer Bremswirkung vor sich. Das heißt, dass nicht jeder von uns nicht genügend arbeitet, nicht genug für die Perestroika kämpft. Eines der Hauptprobleme der Perestroika ist ihre zu starke Stützung auf Parolen. Die Perestroika ist ohne ausrei­chende Analyse der Gründe der Stagnation, ohne Analyse des ge­genwärtigen Zustandes der Gesellschaft, ohne tiefgehende Analyse der von der Partei begangenen Fehler und Versäumnisse verkündet worden. Als Ergebnis konnten nach drei Jahren der Perestroika keine spürbaren, realen Probleme der Menschen gelöst werden. Umso we­niger konnten revolutionäre Umwandlungen erreicht werden.

Bei der Realisierung der Perestroika darf man sich nicht nur Ziele bis zum Jahr 2000 stellen (derzeit ist es für viele uninteressant, was sie später und ob sie es überhaupt zu diesem Zeitpunkt bekommen werden), sondern alle 2 bis 3 Jahre müssen ein bis zwei Aufgaben für das Wohl der Menschen gestellt und gelöst werden. Ohne Verteilung der Mittel in andere Bereiche sollten alle Ressourcen, die Wissenschaft und die Energie der Menschen auf die Erreichung dieser Ziele konzentriert werden. Dann wird der Glaube der Menschen an die Perestroika, an ihre Durchführbarkeit, an ihre Ergebnisse und an ihre Unumkehrbarkeit sprunghaft steigen und auch die anderen Aufga­ben könnten wesentlich schneller gelöst werden. Derzeit kann der Glaube der Menschen jederzeit umschwenken. Bisher befanden sich alle unter Hypnose der Worte, was uns auch gerettet hat. Im weiteren Verlauf kommt das Risiko des Verlustes der Lenkung und der politischen Stabilität.

Über die Offenheit in der Partei. In der Partei soll die Vielfalt der Meinungen zu einem normalen Erscheinungsbild gehören (es han­delt sich doch nicht um eine Unifizierung). Das Vorhandensein einer abweichenden Meinung der Minderheit wird die Einheit der Partei nicht zerstören, sondern festigen. Die Partei ist für das Volk da und das Volk soll wissen, was die Partei macht. Leider gibt es das nicht. Es sollte ausführliche Rechenschaftsberichte des Politbüros und des Sekretariats geben (außer Fragen, die Staatsgeheimnisse enthalten). Dazu zählt auch das Wissen über das Leben und die Lebensläufe der führenden Persönlichkeiten, über ihre Tätigkeitsgebiete und ihre Löhne, welche Ergebnisse jede dieser Führungspersönlichkeiten in ihrem Tätigkeitsgebiet vorzuweisen hat. Dazu zählen auch regelmäßige Auftritte im Fernsehen, Ergebnisse der Aufnahme in die Partei und Verallgemeinerungen aus den Briefen der Werktätigen. Es sollte also überhaupt eine Art Parteisoziologie über die moralische Ge­sundheit der Partei- und Staatsführer eingebracht werden. Diese So­ziologie sollte für alle offen und kein Geheimnis sein.

Es gibt auch solche »Verbotsthemen« wie Fragen der Finanzen des Parteibudgets. Im Statut heißt es: »Das ZK entscheidet über die Verwendung der Finanzen.« Also nicht der Apparat, sondern das ZK. Doch solche Fragen sind bei den Plenartagungen des ZK nicht behandelt worden. Für die Zukunft schlage ich vor, dass das unbedingt gemacht werden sollte. Denn weder die Mitglieder des ZK, noch andere Kommunisten wissen, wie die Parteigelder (und es handelt sich um hunderte Millionen Rubel) verwendet werden. Die Revisionskommission legt bei den Parteitagen keine Rechenschaft darüber ab und offensichtlich hat sie auch keinen Zutritt zur Kassa.

Ich zum Beispiel weiß, wieviel Geld das ZK von der Moskauer Stadtparteiorganisation und von der Gebietsorganisation Swerdlowsk erhält. Doch wie dieses Geld verwendet wird, weiß ich nicht. Ich sehe nur, dass neben vernünftigen Ausgaben auch luxuriöse Vil­len, Datschas und Sanatorien von derartigen Ausmaßen gebaut werden, dass man sich von den Vertretern anderer Parteien, die das sehen, schämen muss. Diese Mittel sollten für die Unterstützung der Grundorganisationen und für die Bezahlung ihrer Leiter verwendet werden. Dann wundern wir uns, dass hohe Funktionäre in Korruptionsaffären, Annahme von Bestechungsgeldern und Fälschungen verwickelt sind, den Anstand, die moralische Integrität, Bescheidenheit und Parteikameradschaft verloren haben.

Die Zersetzung der obersten Schichten unter Breschnew hat viele Regionen erfaßt, was nicht unterschätzt oder verniedlicht werden sollte. Die Fäulnis scheint tiefer zu sein als es manche glauben. Eine Mafia, das weiß ich von Moskau, existiert sicher.

Die Fragen der sozialen Gerechtigkeit. Im großen Rahmen sind diese Fragen bei uns auf sozialistischer Grundlage gelöst. Es sind aber einige Fragen geblieben, die nicht gelöst werden, was Empörung bei den Menschen hervorruft, die Autorität der Partei mindert und sich verderblich auf das Tempo der Perestroika auswirkt.

Meiner Auffassung nach sollte es so sein: Wenn es in unserer sozialistischen Gesellschaft an etwas mangelt, dann sollte das jeder gleichermaßen und ohne Ausnahme spüren. (Applaus.) Der unterschiedliche Arbeitsbeitrag eines einzelnen sollte durch unterschiedlichen Lohn geregelt werden. Schlussendlich müssen die Nahrungsmittelzuweisungen für die angeblich »hungernde Nomenklatura« abgeschafft und elitäre Züge in der Gesellschaft beseitigt werden. Das Wort »Sonder-« muss dem Wesen und der Form nach aus unserem Wortschatz verschwinden, denn es gibt bei uns auch keine Sonderkommunisten.

Ich glaube, dass das den Parteifunktionären sicher helfen wird, mit den Menschen zu arbeiten und auch der Perestroika zugute kommt.

Die Struktur und Abbau des Parteiapparats. Lenins Losung »Alle Macht den Räten!« wird bei diesem mächtigen Parteiapparat nicht verwirklicht werden können. Ich schlage vor, den Parteiapparat in den Gebietskomitees auf die Hälfte bis ein Drittel und den des ZK auf ein Sechstel bis ein Zehntel zu reduzieren, wobei die Branchenabtei­lungen aufgelöst werden sollten.

Zu den Jugendproblemen möchte ich einiges sagen. In den Thesen gibt es zu diesem Problem fast keine Aussagen. Im Referat ist dazu vieles gesagt worden und ich würde eine Resolution über die Jugend unterstützen. Nicht uns, sondern der Jugend ist die Hauptrolle bei der Erneuerung unserer sozialistischen Gesellschaft zugewiesen. Die Jugend muss mutig zur Leitung auf allen Ebenen herangezogen wer­den, ganze Leitungsbereiche und absolut alle Ämter und Stellungen sollten vertrauensvoll an die Jugend übertragen werden.

Genossen Delegierte! Ein heikles Problem. Ich möchte mich mit der Frage meiner politischen Rehabilitierung nach dem Oktober­plenum des ZK an die Konferenz wenden. (Lärm im Saal) ….

Genossen Delegierte! Rehabilitierungen nach 50 Jahren sind nun zur Gewohnheit geworden und das tut der Gesundung der Gesellschaft gut. Dennoch bitte ich persönlich um politische Rehabilitierung schon zu Lebzeiten. Ich halte dieses Problem für grundsätzlich und angebracht im Lichte der im Referat und in den Diskussionsbeiträgen deklarierten sozialistischen Meinungs­vielfalt, der Freiheit der Kritik und Duldsamkeit gegenüber dem Op­ponenten.

Ihr wisst, dass mein Beitrag beim Oktoberplenum des ZK von diesem als »politisch fehlerhaft« eingeschätzt worden ist. Doch die von mir am Plenum vorgebrachten Fragen sind unzählige Male von der Presse und von den Kommunisten aufgeworfen worden. In diesen Tagen sind alle diese Fragen von dieser Tribüne aus im Referat und in den Diskussionsbeiträgen ebenfalls vorgebracht worden. Ich bin der Meinung, dass mein Fehler einzig darin besteht, dass ich nicht zeitgemäß, nämlich vor der Feier zum 70. Jahrestag der Oktoberrevolution, aufgetreten bin.

Es scheint so, dass wir uns alle die Regeln der politischen Diskussion aneignen und auch die Meinung des Opponenten tolerieren sollten, so wie es Lenin gemacht hat, anstatt ihm sofort abschätzige politische Etiketts umzuhängen und ihn zum Ketzer zu erklären.

Genossen Delegierte! In den Diskussionsbeiträgen der Konferenz sowie auch in meinem Beitrag fanden die von mir beim Oktober­plenum (1987) des ZK der KPdSU vorgetragenen Probleme ihre volle Widerspiegelung. Das Geschehene geht mir sehr zu Herzen und ich ersuche die Konferenz, den Beschluß des Plenums in dieser Frage rückgängig zu machen. Falls Ihr das für möglich haltet, wäre ich in den Augen der Kommunisten rehabilitiert. Hier geht es nicht nur um Persönliches. Es wäre im Geiste der Perestroika, wäre demokratisch und würde, wie es mir scheint, der Perestroika helfen und den Menschen mehr Gewissheit geben.

Ja, die Erneuerung der Gesellschaft geht nur schwer vor sich, Es gibt Fortschritte, auch wenn sie klein sind. Das Leben selbst zwingt uns, nur diesen Weg zu beschreiten. (Applaus.)

 

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