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Der Rote Maulwurf löst den Krieg mit Japan aus

(1937-1938,43-44 Jahre)

(Auszug aus Mao, ISBN 3-89667-200-2)

An der Marco-Polo-Brücke, unmittelbar vor den Toren Pekings, kam es .am 7. Juli 1937 zu einem Gefecht zwischen chinesischen und japani­schen Truppen. Bis zum Ende des Monats hatten die Japaner die beiden größten Städte Nordchinas besetzt: Peking und Tianjin. Chiang erklärte Japan nicht den Krieg.1 Er wollte den großen Krieg nicht - jedenfalls noch nicht. Dasselbe galt für die Japaner.

Japan wollte zu diesem Zeitpunkt die Kämpfe noch auf den Norden Chinas beschränken. Dennoch brach innerhalb weniger Wochen der un­eingeschränkte Krieg aus, und zwar in Shanghai, 1000 Kilometer weiter südlich, an einem Ort, an dem sowohl Chiang als auch Japan einen Krieg weder wünschten noch planten. Japan unterhielt nach den Bestimmungen des Waffenstillstandsabkommens von 1932 in der Nahe Shanghais einen Stützpunkt, an dem nur etwa 3000 Marineinfanteristen stationiert waren. Tokios strategischer Plan blieb bis Mitte August unverändert: »Die Armee geht nur nach Nordchina.« Und es wurde eigens hervorgehoben: »Es be­steht keine Notwendigkeit, die Armee nach Shanghai zu schicken.«'

Die rasche Besetzung Nordchinas durch Japan im Juli brachte für Stalin eine unmittelbare Gefahr mit sich.4 Japans riesige Armeen hatten jetzt eine Ausgangsbasis für einen Schwenk nach Norden und einen Angriff auf die Sowjetunion an einer Tausende von Kilometern langen Grenze. Noch im Vorjahr hatte Stalin Japan öffentlich als die größte Bedrohung für sein Land bezeichnet. Jetzt aktivierte Stalin offenbar einen für langfristiges Wirken vorgesehenen kommunistischen Agenten im Machtzentrum der Armee der Nationalisten und brach auf diesem Weg in Shanghai einen of­fenen Krieg vom Zaun, der die Japaner unweigerlich ins riesige Herzland Chinas trieb - weg von der Sowjetunion.

Der »Schläfer«, der jetzt aktiviert wurde, war ein General namens Zhang Zhi- zhong (im Folgenden ZZZ genannt), der Befehlshaber der Shanghai- Nanjing- Garnison. 1925 hatte er in Whampoa unterrichtet, der von den Russen finanzierten und mit Personal ausgestatteten Militäraka­demie in der Nähe von Kanton. Vom Gründungstag der Akademie an be­mühte sich Moskau mit großer Konsequenz darum, hochrangige Agenten auf diesem Weg in den Militärapparat der Nationalisten einzuschleusen. ZZZ gab das in seinen Memoiren offen zu: »Im Sommer 1925 sympathi­sierte ich uneingeschränkt mit der KPC und ... wurde als >roter Lehrer< und >roter Regimentskommandant< bezeichnet ... Ich wollte der KPC beitreten und sagte das zu Chou En-lai.«5 Chou wies ihn an, bei den Na­tionalisten zu bleiben und »insgeheim« mit der KPC zusammenzuarbeiten. Mitte der dreißiger Jahre hielt ZZZ engen Kontakt mit der sowjetischen Botschaft.

 

Zum Zeitpunkt des Zwischenfalls an der Marco-Polo-Brücke hatte ZZZ mit dem Oberbefehl über die Shanghai- Nanjing- Garnison eine Schlüsselstellung inne. Er versuchte Chiang zu einem »Erstschlag« gegen Japan zu bewegen - aber nicht in Nordchina, wo eigentlich gekämpft wurde, sondern 1000 Kilometer weiter südlich, in Shanghai, dessen kleine spanische Garnison zu diesem Zeitpunkt noch nicht in die Kämpfe ver­wickelt war.6

Chiang antwortete nicht auf diesen Vorschlag, obwohl ZZZ ihn mehr­fach wiederholte. Shanghai war das industrielle und finanzielle Zentrum , eine internationale Metropole, und Chiang wollte die Stadt nicht in ein Schlachtfeld verwandelt sehen. Außerdem war Shanghai seiner Hauptstadt Nanjing sehr nahe. Er hatte sogar Soldaten und Artillerie aus der Umgebung Shanghais abgezogen, um Japan keinen Vorwand für einen Krieg an diesem Ort zu liefern.

Ende Juli, unmittelbar nach der Besetzung Pekings und Tianjins durch Japan, telegrafierte ZZZ erneut an Chiang und plädierte eindringlich da­für, »die Initiative zu ergreifen« und auf einen Krieg hinzuarbeiten. Als er erklärte, dies werde er nur tun, wenn es untrügliche Hinweise für einen ja­panischen Angriff auf Shanghai gebe, stimmte Chiang mit Einschränkun­gen zu, betonte dabei aber ausdrücklich: »Sie müssen die Befehle abwar­ten, wann dies geschehen soll.«

Doch am 9. August handelte ZZZ auch ohne die Billigung Chiangs. Er inszenierte einen Zwischenfall in der Nähe des Flughafens, bei dem eine dort von ihm persönlich eigens zu diesem Zweck stationierte chinesische Einheit einen japanischen Marineleutnant sowie einen Gefreiten erschoss. Dann wurde ein bereits zum Tod verurteilter chinesischer Häftling in eine chinesische Uniform gesteckt und am Flughafentor erschossen, um den Eindruck zu erwecken, die Japaner hätten das Feuer eröffnet. Die Japaner ließen es nicht an Zeichen des guten Willens fehlen, um den Konflikt zu entschärfen, doch ZZZ bombardierte Chiang immer noch mit Bitten, die Offensive starten zu dürfen. Chiang lehnte sie alle ab. Der Generalissimus wies ZZZ am Morgen des 13. August an, keinen Krieg »aus einer plötz­lichen Eingebung heraus« zu beginnen, sondern alle Aspekte »genau zu betrachten und zu erörtern« und dann seinen Plan vorzulegen. Am folgenden Tag drängte ZZZ erneut: »Diese Armee ist entschlossen, um 17 Uhr am Nachmittag mit der Offensive gegen den Feind zu beginnen. Hier ist der Plan.«7

Chinesische Flugzeuge bombardierten am 14. August das japanische Flaggschiff Izumo sowie die Soldaten und Marineflugzeuge auf dem Fest­land, und ZZZ befahl eine Großoffensive. Doch Chiang stoppte ihn: »Sie dürfen heute abend nicht angreifen. Warten Sie auf Befehle.«8

Als keine Befehle eintrafen, überlistete ZZZ Chiang durch die Veröf­fentlichung einer Presseerklärung, in der er (wahrheitswidrig} behauptete, japanische Kriegsschiffe hätten Shanghai beschossen, und japanische Sol­daten hätten das Feuer auf chinesische Einheiten eröffnet. Jetzt entwi­ckelte sich eine massiv antijapanische Stimmung, und Chiang geriet in Zugzwang. Einen Tag später, am 16. August, gab er schließlich den Be­fehl: »Großangriff morgen bei Tagesanbruch.«

Doch nach eintägigen Kämpfen ordnete Chiang schon am 18. August eine Feuerpause an. ZZZ ignorierte den Befehl einfach und weitete seine Offensiven aus. Der offene Krieg war nicht mehr aufzuhalten, als ab dem 22. August umfangreiche japanische Verstärkungen eintrafen.9

Die Japaner fügten ihren Gegnern schwerste Verluste zu. In Shanghai wurden 73 der 180 chinesischen Divisionen - zugleich das kampfstärkste Drittel - in die Schlacht geworfen, mehr als 400 000 Mann, und fast völlig ausgelöscht. Dieser Konflikt verschlang fast die gesamte, noch junge chinesische Luftwaffe (die Chiang so wichtig war, dass er bisher noch kein einziges Flugzeug an der Nordfront eingesetzt hatte) und die wichtigsten Kriegsschiffe. Die chinesische Militärmacht, die Chiang seit den frühen dreißiger Jahren so sorgfältig aufgebaut hatte, war entscheidend ge­schwächt. Die Japaner hatten sehr viel weniger Verluste zu beklagen, aber auch sie verloren etwa 40 000 Soldaten.

Sobald Chiang zum offenen Krieg gedrängt worden war, unterstützte ihn Stalin nur allzu gern militärisch. Er unterschrieb am 21. August einen Nichtangriffspakt mit Nanjing und begann mit den Waffenlieferungen an Chiang. Mit Ausnahme von Gewehren verfügte China über keine eigene Waffenherstellung. Stalin gewährte Chiang einen Kredit in Höhe von 250 Millionen US-Dollar für Waffenkäufe von der Sowjetunion, zu denen auch 1000 Flugzeuge sowie Panzer und Artillerie gehörten, und schickte ein stattliches Kontingent der sowjetischen Luftwaffe nach China.

*Von Dezember 1937 bis Ende 1939 flogen mehr als 2000 sowjetische Piloten Kampfeinsätze und schossen dabei rund 1000 japanische Flugzeuge ab. Sie bombardierten sogar das von Japan besetzte Taiwan.

Moskau schickte auch etwa 300 Militärberater, die eine Zeit lang von dem Chinesisch sprechenden General Wassilij Tschujkow befehligt wurden, der sich später dann in Stalingrad Ruhm erwerben sollte. Die Sowjetunion war in den folgenden vier Jahren nicht nur Chinas größter Waffenliefe­rant, sondern praktisch auch die einzige Quelle für schwere Waffen, Artillerie und Flugzeuge.

Moskau war mit dem Gang der Ereignisse mehr als zufrieden, wie der sowjetische Außenminister Maxim Litwinow im Gespräch mit dem stell­vertretenden französischen Ministerpräsidenten Leon Blum zugab. Blum berichtete, Litwinow habe ihm erzählt, dass »er [Litwinow] und die Sow­jetunion über den Angriff Japans auf China hocherfreut gewesen seien, [und er fügte hinzu], dass die Sowjetunion auf eine möglichst lange Fort­setzung des Krieges zwischen China und Japan hoffe ...«

Dies war möglicherweise einer von Stalins größten Coups. Mit Hilfe eines einzigen Schläfers wehrte er die Bedrohung der Sowjetunion durch Japan ab.

Die beiden Russen, die mit ZZZ zusammenarbeiteten, der Mi­litärattache Lepin und der Botschafter Bogomolow, wurden sofort in die Heimat zurückgerufen und hingerichtet.

ZZZ kann wohl als der wichtigste Agent aller Zeiten gelten. Die meisten anderen Agenten gaben einfach nur Informationen weiter, doch ZZZ veränderte sehr wahr­scheinlich den Lauf der Geschichte - und dies praktisch im Alleingang.

Ein zorniger, frustrierter und zweifellos auch misstrauischer Chiang zwang ZZZ umgehend zum Rücktritt, der im September erfolgte. Doch der Generalissimus stellte ZZZ nicht öffentlich bloß. Wie Shao Li-tzu, der andere Supermaulwurf, blieb auch ZZZ auf der kommunistischen Seite als die Nationalisten 1949 nach Taiwan flohen.

Mao zog einen unmittelbaren Nutzen aus dem Ausbruch des Krieges zwischen Japan und China. Chiang Kai-shek ging endlich auf die wich­tigste Forderung der Kommunisten ein, deren Anerkennung er bis zu die­sem Zeitpunkt verweigert hatte: Er beließ der Roten Armee ihre Autono­mie. Mao wahrte auf diese Weise die Kontrolle über die eigene Armee, die doch eigentlich ein Teil der Streitkräfte der Zentralregierung sein sollte. Chiang war zwar Oberbefehlshaber der chinesischen Armee, doch er hatte keinerlei Befehlsgewalt über die Rote Armee und musste seine Befehle als »Bitten« formulieren. Außerdem galt die KPCh jetzt praktisch als legitime politische Vereinigung. Kommunistische Gefangene wurden freigelassen, und die KPCh durfte in den wichtigsten Städten Büros eröffnen und auch in den von den Nationalisten beherrschten Gebieten ihre eigenen Zeitungen veröffentlichen.

Doch das war nur ein Vorgeschmack der Vorteile, die Mao aus dem chi­nesisch-japanischen Krieg zog, der acht Jahre dauern und rund 20 Millionen Chinesen das Leben kosten sollte. Gegen Kriegsende war Chiangs Staat außerordentlich geschwächt, während Mao als Befehlshaber über eine riesige Armee von 1,3 Millionen Mann aus dem Konflikt hervorging. Bei Kriegsbeginn lag das Kräfteverhältnis zwischen den Armeen von Chiang und Mao bei 60:1, bei Kriegsende dagegen bei 3:1.

Nachdem Stalin den Ausbruch des offenen Krieges zwischen China und Japan inszeniert hatte, wies er die chinesische Rote Armee an, aktiv ins Geschehen einzugreifen. Er teilte der KPC in unmissverständlicher Form mit, dass sie effektiv mit den Nationalisten zusammenarbeiten müsse und nichts tun dürfe, was Chiang auch nur den geringsten Anlass für die Ver­weigerung des Kampfes gegen Japan bieten würde.

Zu diesem Zeitpunkt zählte die chinesische Rote Armee etwa 60 000 reguläre Soldaten. 46 000 von ihnen hielten sich in der Nordwestregion auf, deren Hauptstadt Yenan war. Diese Einheiten wurden ab jetzt als »Achte Route-Armee« bezeichnet, die von Zhu De geführt wurde, mit Peng De-huai als seinem Stellvertreter. 10 000 Soldaten befanden sich noch im öst­lichen Yangtsetal, dem Herzland Chinas. Dies waren Guerillas, die beim Langen Marsch zurückgelassen worden waren und jetzt zur »Neuen Vier­ten Armee« wurden. Xiang Ying, der Anführer der Zurückgelassenen (und Maos alter Erzfeind, der heftig dagegen plädiert hatte, dass Mao auf den Langen Marsch mitgenommen wurde), übernahm jetzt auch die Führung dieser Armee.

Ab Ende August begannen die drei Divisionen, die die Achte Route-Armee bildeten, mit der Überquerung des Gelben Flusses, um zur Front zu gelangen, die mehrere hundert Kilometer weiter östlich in der Provinz Shanxi lag. Die Befehlshaber der Roten Armee brannten ebenso wie ihre Soldaten darauf, gegen die Japaner zu kämpfen. Dasselbe galt für die meisten Anführer der KPC.

Aber nicht für Mao. Mao betrachtete den chinesisch-japanischen Krieg nicht als einen Konflikt, in dem alle Chinesen gemeinsam gegen Ja­pan kämpfen würden. Er sah sich keineswegs auf derselben Seite wie Chiang. Jahre später sollte er seinem engsten Führungszirkel eröffnen, er habe den Krieg als einen Drei-Parteien-Konflikt empfunden. »Chiang, Japan und wir - drei Königreiche«, sagte er und spielte damit auf die Ära in der chinesischen Geschichte an, die als die Zeit der Drei Reiche bekannt ist.

Mao sah den Krieg eher als eine Gelegenheit zur Vernichtung Chiangs, die die Japaner für ihn übernehmen sollten. In späteren Jahren dankte er den Japanern mehr als einmal für die »große Unterstützung«. Als sich einige japanische Besucher nach dem Krieg bei ihm für die japanische In­vasion in China entschuldigten, antwortete er: »Ich würde eher den japanischen Warlords danken.«15 Hätten sie nicht große Teile Chinas be­setzt, »wären wir heute noch in den Bergen«. Und genau das meinte er auch.

Mao besaß keine Strategie, mit der er die Japaner ohne Chiangs Hilfe aus China hätte vertreiben können. Ebenso wenig konnte er davon träumen , dass die KPC nach einer Niederlage Chiangs mit den Japanern zu­rechtkäme. Stalin war seine einzige Hoffnung. Mao hatte dieses Kalkül in einem Interview mit Edgar Snow 1936 klar formuliert. Er sagte, dass die Sowjetunion die Ereignisse im Fernen Osten nicht einfach ignorieren [kann]. Sie kann nicht passiv bleiben. Sollte sie in aller Ruhe zusehen, wie Japan ganz China erobert und es als strategische Basis für seinen Angriff ge­gen die UdSSR benutzt? Oder wird sie dem chinesischen Volk helfen .., ? Wir glauben, dass Russland das zweite tun wird.

Maos Strategie für den chinesisch-japanischen Krieg sah deshalb vor, die eigenen Truppen zu schonen und zugleich den Machtbereich der chinesi­schen Kommunisten zu erweitern, während man auf Stalins Eingreifen wartete. Als die Japaner von Norden her und aus dem Raum Shanghai tie­fer ins Landesinnere vorstießen, brachte Mao Chiang dazu, die Rote Armee nicht in schweren Gefechten einzusetzen. Sie war nur als Hilfstruppe für die Regierungseinheiten vorgesehen. Mao wollte, dass die Rote Armee überhaupt nicht gegen die Eindringlinge kämpfte. Er wies seine Truppenbefehlshaber an, abzuwarten, bis die Japaner die Nationalisten besiegt hatten, und dann, wenn die Japaner weiterzogen, die Gebiete hin­ter deren Linien zu besetzen. Die Japaner konnten in den von ihnen eroberten riesigen Gebieten Chinas keine festen Garnisonen einrichten - das eroberte Land war sehr viel größer als Japan selbst. Sie mussten sich auf die Kontrolle der Eisenbahnlinien und der großen Städte beschränken und die Kleinstädte und die ländlichen Gebiete fremdem Zugriff preisgeben. Mao befahl seinen Männern auch, die Überreste besiegter nationalisti­scher Einheiten einzusammeln, um so die eigenen Reihen zu verstärken. Sein Plan sah vor, im Sog der japanischen Eroberer den Machtbereich der Kommunisten zu erweitern.

Er deckte seine Militärbefehlshaber mit Telegrammen ein: »Schwerpunkt auf die Einrichtung von Stützpunktgebieten ... Keine Schlachten austragen ...« Als die Japaner rasch die Provinz Shanxi eroberten, lautete sein Befehl: »Erweitert unser Gebiet auf die gesamte Provinz Shanxi.« Jahre später beschrieb er seine damalige Haltung so: »Je mehr Land Japan eroberte, desto besser.«19

Maos Strategie stieß bei seinen eigenen Kommandanten, die unbedingt gegen die Japaner kämpfen wollten, auf Widerstand. Die Rote Armee hatte am 25. September ihr erstes Gefecht mit den Invasoren. Eine Einheit unter dem Befehl Lin Biaos griff am Pingxingguan- Pass, der im Nordos­ten Shanxis in der Nähe der Großen Mauer liegt, die Nachhut eines japa­nischen Nachschubkonvois an. Dies war zwar nur ein relativ unbedeu­tender Zusammenstoß, der sich zudem nicht gegen eine Kampf-, sondern eine Versorgungseinheit richtete, von denen die meisten, laut Lin, 1 Schlaf lagen.20 Dennoch war dies der erste Kampf, bei dem chinesische Kommunisten - außerhalb der Mandschurei - Japaner töteten. Wäre es nach Mao gegangen, dann hätte dieser Kampf überhaupt nicht stattge­funden. Nach einem von Lin Biao 1941 in Russland verfassten Bericht (er wurde dort wegen seiner Schusswunden behandelt) hatte sich Mao wiederholt geweigert, diesem Angriff zuzustimmen: »Als die Kämpfe zwischen der japanischen Armee und der Armee der Nationalisten begannen, bat ich das ZK [das Zentralkomitee, d. h. Mao] mehr als einmal um eine Entscheidung zur Vorbereitung eines kraftvollen Schlags gegen Japan. Ich erhielt nie eine Antwort, und schließlich suchte ich aus eigenem Entschluss bei Pingxingguan den Kampf.«21

Mao war wütend, als ihm davon berichtet wurde. Dieser Kampf, so sagte er, »hilft Chiang Kai-shek«,22 und er habe nichts zur Förderung sei­nes Zieles beigetragen - zur Errichtung eines kommunistischen Herr­schaftsgebietes.

Zu Propagandazwecken ließ Mao jedoch die Bedeutung des Gefechts von Pingxingguan über alle Maßen übertreiben, weil er damit zeigen wollte, dass die KPC die Japaner entschlossener bekämpfte als die Natio­nalisten. Ein Grund dafür, dass die Kommunisten dieses Gefecht immer wieder anführten, war, dass es auf Jahre hinaus wortwörtlich die einzige »Schlacht« war, die sie mit den Japanern ausfochten * - ein Kampf, bei dem höchstens ein paar Hundert Japaner ums Leben kamen.

Die Rote Armee hatte einige andere kleine Erfolge zu verzeichnen - als untergeordneter Mitspieler in Zusammenarbeit mit Kuomintang- Einheiten. Mao drängte jedoch die ganze Zeit darauf, dass seine Truppen den Kampf gegen die Japaner mieden und sich auf die Übernahme von Terri­torium konzentrierten.23 Mitte November war die erste neue kommunistische Basis hinter den japanischen Linien eingerichtet, ein Gebiet namens Jinchaji in der Nähe von Peking, in dem rund 12. Millionen Menschen lebten, ein Vielfaches der Bevölkerung der Basis von Yenan. Dieses erste und die weiteren riesigen kommunistischen Gebiete »schufen die Grundlagen für unseren Sieg«24 bei der Eroberung Chinas, sagte Mao viele Jahre später zu einem japanischen Besucher.

Stalin wollte jedoch, dass die chinesischen Kommunisten gegen Japan kämpften, und um diese Politik durchzusetzen, ließ er im November 1937

seinen loyalsten chinesischen Gefolgsmann in einem Spezialflugzeug nach Yenan bringen. Dieser Mann war Wang Ming, der seit Jahren als Vertre­ter der KPC für die Komintern gearbeitet hatte. Stalin rief ihn kurz vor sei­ner Abreise zu sich und erklärte ihm die Parteilinie: »Die Hauptsache ist zur Zeit der Krieg [d. h. der Kampf gegen Japan],... und wenn der vorbei ist, beschäftigen wir uns mit der Frage des Kampfes gegeneinander [das heißt Kommunisten gegen Chiang].«25

Die meisten Führungskader der KPC stimmten Stalins Linie zu. Bei der ersten Sitzung des Politbüros nach Wang Mings Rückkehr im Dezember 1937 wurde dieser zum Fürsprecher einer Politik, die den »Kampf gegen Japan« an erster Stelle sah. Das Politbüro beschloss, dass die Rote Armee Befehle des nationalen militärischen Hauptquartiers, das von Chiang ge­leitet wurde und dem auch die KPC angehörte, befolgen musste. Mao war dagegen. Es lag jedoch ein klarer Befehl Stalins vor, den er zu akzeptieren hatte.

Maos Mitstreiter zeigten ihre Missbilligung seines Kurses, indem sie einen Beschluss fassten, der den Parteivorsitzenden in letzter Konsequenz aus seiner Führungsrolle verdrängen würde. Moskau hatte die KPC ange­wiesen, einen längst überfälligen Parteikongress einzuberufen. (Der bisher letzte datierte aus dem Jahr 1928.) Das Politbüro wählte als Berichterstatter für das politische Grundsatzreferat bei diesem Parteitag - für eine Rolle also, die nach dem kommunistischen Parteiprotokoll ohne jeden Zweifel der Nummer eins zukam - nicht Mao, sondern Wang Ming. Im Klartext bedeutete dies: Die Parteiführung wünschte sich Wang Ming als künftigen Parteichef.26

Mao war zwar de facto Parteichef und wurde von Moskau in dieser Funktion auch anerkannt, doch es lag kein entsprechender förmlicher Be­schluss vor, was für die von Ritualen besessene kommunistische Welt äußerst ungewöhnlich war. Nomineller Parteichef war nach wie vor Lo Fu. Maos Mitstreiter begegneten ihm auch nicht mit der uneingeschränkten Ehrfurcht, die Stalin entgegengebracht wurde.

Mao hatte außerdem die Kontrolle über das wichtigste Entscheidungs­gremium verloren: das Sekretariat. Zum ersten Mal seit dem Bruch mit der Kuomintang im Jahr 1927 waren alle neun Mitglieder des Gremiums an einem Ort zusammengekommen, und fünf von ihnen unterstützten Mao nicht. Der Anführer der oppositionellen Mehrheit war Wang Ming. Xian Ying, der Befehlshaber der Neuen Vierten Armee, war schon lange ein heftiger Mao-Gegner gewesen. Chang Kuo-tao, der Mann, den Mao während des Langen Marsches so massiv sabotiert hatte, hasste Mao. Und Chou En-lai und Po Ku waren beide auf der Seite Wang Mings. Chou befürwortete den aktiven Kampf gegen Japan und schloss sich mit Freuden  der Mehrheit an. Mao war in der Minderheit.

Wang Ming wusste Moskaus Autorität hinter sich, er verfügte über die Referenz des ehemaligen Parteigesandten an eben jenem Ort, er war Stalin begegnet und hatte enge Kontakte zu kommunistischen Parteiführern aus aller Welt gepflegt. Außerdem sprach er fließend Russisch, wusste, was im Kreml vor sich ging, und war auch ehrgeizig und rücksichtslos. Bei der großen Säuberung in Russland hatte er viele chinesische Kommunisten ins Gefängnis oder in den Tod geschickt. Er hatte ein Kindergesicht und war klein und korpulent, doch dieser überaus selbstbewusste 33-Jäh­rige stellte eine akute Bedrohung für Mao dar.

Mao sollte später oft mit großer Bitterkeit auf jenen Dezember 1937 zurückkommen, in dem Wang Ming sich durchsetzte. Dies ist umso auffäl­liger, weil er in seinem langen Leben ein anderes Ereignis, das in genau denselben Zeitraum fiel, kein einziges Mal erwähnte - das fürchterliche Massaker von Nanjing, bei dem die Japaner nach Schätzungen bis zu 300000 chinesische Zivilisten und Kriegsgefangene abschlachteten. Mao sprach niemals über dieses Geschehen, weder unmittelbar danach noch zu einem späteren Zeitpunkt, doch für seine Landsleute war es die größte menschliche Tragödie des chinesisch-japanischen Krieges.

Nach dem Fall von Nanjing am 13. Dezember 1937 machte Chiang Kai-shek das weiter im Binnenland gelegene Wuhan am Yangtse zu seiner provisorischen Hauptstadt. Am 18. Dezember begab sich Wang Ming als Verbindungsmann der KPC dorthin mit seinen Stellvertretern Chou und Po Ku. Sie unterhielten eine gute Arbeitsbeziehung zu Chiang. Auch Kom­mandanten der Roten Armee gingen nach Wuhan, um Verbindung zur militärischen Führung der Nationalisten aufzunehmen. Der in Yenan zu­rückgebliebene Mao war marginalisiert und bezeichnete diese periphere Rolle verärgert als »Haushüten«.27 Doch hinter dieser Klage verbarg er das, was er wirklich tat: Er nutzte diese Zeit und die Tatsache, dass die an­deren Mitglieder der Parteispitze so tief in den Krieg verstrickt waren, um Yenan zu seinem persönlichen Lehen auszubauen.

Mao kämpfte von Yenan aus unermüdlich darum, dass die Rote Armee nicht nach den Plänen vorging, die im von Chiang geleiteten nationalen Hauptquartier erarbeitet wurden. Zhu De telegrafierte am 19. Februar 1938, das Hauptquartier der Achten Armee werde entsprechend dem Ge­neralplan nach Osten verlegt, worauf Mao versuchte, die Armee zum Umkehren zu bewegen, indem er einfach behauptete, die Japaner bereiteten einen Angriff auf Yenan vor.28 In Wahrheit versuchten die Japaner niemals, Yenan anzugreifen, von einigen Bombardements einmal abgesehen

Zhu weigerte sich umzukehren und schrieb zurück, Mao falle hier womöglich auf eine List herein, die genau darauf abziele, die Achte Route-Armee von der Front wegzulocken. Mao ließ nicht locker und deckte Zhu mit Telegrammen ein, die ihn selbst und Peng nach Yenan zurückbeorderten: »Gerade ihr beiden müsst zurückkehren.« Zhu und Peng antwor­teten am 7. März mit einem definitiven »Nein« und führten ihre Soldaten weiter nach Osten.

Das Politbüro traf sich Ende Februar erneut, um die ständige Ausgabe von Befehlen Maos, die der gemeinsam beschlossenen Strategie zuwider­liefen, zu unterbinden. Wang Ming hatte aus diesem Grund auf der Sitzung bestanden, und er wollte noch eine andere dringende Angelegenheit regeln. Das neue kommunistische Gebiet Jinchaji war im Januar unter Maos Ägide und ohne die Zustimmung Chiang Kai-sheks öffentlich zur Roten Basis erklärt worden. Dieser Vorgang hatte eine Welle antikommunistischer Gefühle im Land provoziert, und viele Menschen fragten sich: »Warum kämpfen wir gegen die Japaner? Nach dem Sieg über Japan erwartet uns nur eine kommunistische Machtübernahme!« Wang Ming und seine Gruppe in Wuhan waren äußerst unglücklich über dieses dreis­te Vorgehen Maos.

Ein weiteres Mal stellte sich die Mehrheit des Politbüros auf die Seite Wang Mings (und bestätigte, dass er beim bevorstehenden Parteikongress der politische Berichterstatter sein würde). In dem von Wang Ming verfassten Sitzungsprotokoll war zu lesen, dass die Rote Armee dem »Ober­kommandierenden«, d. h. Chiang Kai-shek, bei »vollkommen einheitlicher Führung, ..., einheitlicher Disziplin, einheitlichen Kriegsplänen und einheitlichen Operationen« unterstehen müsse. Alle neuen kommu­nistischen Stützpunktgebiete »müssen vorab die Zustimmung und Auto­risierung durch ... die nationalistische Regierung erhalten«. Wang Ming schrieb außerdem einen Satz, der für Mao höchst unheilvoll klingen musste: »Heute versuchen nur noch die japanischen Faschisten und ihre Apportierhunde ... und die Trotzkisten, die nationalistische Regierung zu stürzen ...<<29

Dies waren Moskaus Worte, und eine derartige Beschuldigung war potenziell tödlich. Also erweckte Mao den Eindruck, als akzeptiere er die »Zuerst der Kampf gegen Japan « -Politik. Er sagte den kommunistischen Kommandanten, sie könnten Befehle des nationalen Hauptquartiers entnehmen, und versprach, sich in Zukunft nicht mehr »einzumischen.

Zugleich hatte er aber dafür gesorgt, dass Moskau nichts über seine wirkliche Haltung erfuhr. Nach der Politbüro-Sitzung im Dezember 1937 unter dem Vorwand der »sicheren Aufbewahrung« die Notizen aller Teilnehmer einsammeln, sodass ihn niemand zitieren konnte, falls ihn die anderen denunzieren wollten.31 Als die Delegierung eines neuen Gesandten nach Moskau anstand, sorgte Mao dafür, dass Ren Bi- shi, einer seiner Verbündeten, diesen Auftrag bekam. Ren erzählte den Rus­sen  Maos politische Haltung unterscheide sich in nichts von der Moskaus.

Ende Januar 1938 hatte W. W. Andrianow, ein Emissär des sowjetischen Generalstabs, insgeheim Yenan besucht - der höchstrangige Russe, der jemals vor Ort war.  Er hatte die gewaltige Summe von 3 Millionen US-Dollar mitgebracht (was nach heutigem Kurs etwa 40 Millionen Dol­lar entspricht), die für den Aufbau der Roten Armee zum Kampf gegen die Japaner bestimmt war. Stalin hatte gesagt, er wolle, dass die chinesische Rote Armee »nicht drei, sondern dreißig Divisionen« habe. Moskau war bereit, diese gewaltige Aufrüstung zu bezahlen - für den Kampf gegen Japan.*

Andrianow fragte Mao nach seinen Kriegsplänen. Mao erstattete ihm einen detaillierten, aber falschen Bericht, in dem er erklärte, er wolle große Truppenkontingente zusammenziehen, um die Japaner mit »mobiler Kriegsführung« zu treffen, und er behauptete, die Nationalisten würden seine Bemühungen um Zusammenarbeit zurückweisen. Er versuchte sogar, seinen Enthusiasmus unter Beweis zu stellen, indem er behauptete, die Japaner - die er als ineffektive Truppe mit schwacher Kampfmoral be­schrieb - seien einfacher zu bekämpfen als die Nationalisten.

Für Mao war dies eine äußerst gefährliche Zeit. Ihm konnte nicht ent­gangen sein, dass Moskau im vergangenen Jahr die öffentlichen Lobprei­sungen zu seinen Gunsten merklich zurückgefahren und außerdem die KPC in einem Schlüsseltext zum 20. Jahrestag der Oktoberrevolution kritisiert hatte. Seine Komplizenschaft bei der Entführung Chiangs hatte zweifellos Stalins Misstrauen geweckt. Stalin hatte in der Tat den Ver­dacht gehegt, Mao könnte »ein japanischer Agent« sein.

Für Mao war dies eine äußerst gefährliche Zeit. Ihm konnte nicht entgangen sein, dass Moskau im vergangenen Jahr die öffentlichen Lobpreisungen zu seinen Gunsten merklich zurückgefahren und außerdem die KPCh in einem Schlüsseltext zum 20. Jahrestag der Oktoberrevolution kri­tisiert hatte.35 Seine Komplizenschaft bei der Entführung Chiangs hatte zweifellos Stalins Misstrauen geweckt. Stalin hatte in der Tat den Verdacht gehegt, Mao könnte »ein japanischer Agent« sein.

Komintern- Funktionäre, die mit Mao zu tun gehabt hatten, wurden verhaftet und unter Folter verhört. Einer von ihnen war Ossip Pjatnitski,* der Geheimdienstchef der Komintern, und er benannte Mao im April 1938 als einen der Verschwörer, die einer vermuteten »Bucharin- Gruppe« angehörten.36

Bucharin, der ehemalige Vorsitzende der Komintern, wurde der Spionage für Japan beschuldigt.

Das Dossier zu Mao enthielt auch eine Denunziation seiner Person als »Anführer des Trotzkismus im innersten Führungskreis der KPC« - eine doppelt bedrohliche Anschuldigung, denn chinesische Trotzkisten galten als japanische Spione.37 Boris Melnikow, der ehemalige Topagent Mos­kaus in China, wurde beschuldigt, Mao angeworben zu haben und dann gemeinsam mit anderen Spitzenfunktionären der KPCh, zu den Japanern übergelaufen zu sein. Stalin ließ Melnikow zu einem persönlichen Verhör in den Kreml schaffen, und Melnikows Hinrichtung wurde um acht Mo­nate verschoben, um ihn ausführlich zur KPC vernehmen zu können. In jenem Zeitraum wurden viele ehemalige sowjetische Agenten in China hingerichtet. Sie alle wurden der Spionage für Japan beschuldigt. Es wurde gefährlich für Mao.

 

* Pjatnitski wurde am 7. Juli 1937 verhaftet, dem Tag des Zwischenfalls an der Marco-Polo-Brücke, der zu Japans Angriff auf Nordchina und zur Bedrohung Russlands führte. Das erste Verhörprotokoll zu Pjatnitski ist auf den 11. November 1937 datiert. An jenem Tag traf Stalin Wang Ming, kurz vor dessen Abreise nach Yenan, wo er die KPCh und Mao zum Kampf gegen Japan bewegen sollte. Das waren unmissverständliche Indizien für die Annahme, dass die Verhaftung Pjatnitskis mit dem Krieg gegen Japan, mit der KPCh und mit Mao zu tun hatte.