Kampf gegen die Rivalen und gegen Chiang- nicht gegen Japan

 

(1936-1940; 42-46 Jahre)

(Auszug aus Mao, ISBN 3-89667-200-2)

 

Ein Mann versuchte Maos Schwächen auszunutzen: Chang Kuo-tao. Er war Mao im Juni 1935 während des Langen Marsches begegnet und hatte damals eine Armee von 80000 Mann angeführt - ein starker Kontrast zu Maos schwer mitgenommenen 10 000. Es sprach alles dafür, in ihm den Anführer der KPC zu sehen. In den folgenden Monaten hatte Mao jedoch Kuo- taos Armee systematisch sabotiert und den alleinigen Anspruch auf die Route nach Norden erhoben, um dort Kontakt mit den Russen aufnehmen zu können, während Kuo-tao an der tibetischen Grenze in größte Not geriet. Als Kuo-tao im Oktober 1936 das Parteihauptquartier im nördlichen Shaanxi erreichte, war seine Armee halbiert und er selbst nur noch eine Art Juniorpartner. Doch das genügte Mao noch nicht. Er war entschlossen, Kuo-tao weiter zu schwächen, denn dessen Armee hatte immer noch doppelt so viele Soldaten wie Maos Truppe, und er selbst war nach wie vor ein potenzieller Rivale.

In jenem Oktober 1936 setzte Mao auch die Rote Armee in Marsch, die den Weg zum russischen Waffennachschub an der Grenze zur Äußeren Mongolei freikämpfen sollte. Kuo-taos kampferprobten Einheiten wies er dabei die Aufgabe zu, die Linien der Nationalisten zu durchbrechen, die diesen Weg blockierten. Doch diese Operation schlug fehl, und 21 800 Mann aus Kuo-taos Armee - die Hälfte der Männer, die ihm geblieben Waren - wurden am jenseitigen Ufer des Gelben Flusses abgeschnitten. Moskau schlug daraufhin vor, dass die KPC versuchen sollte, ihre Waffen in Xinjiang in Empfang zu nehmen, einer weiteren sowjetisch kontrollierten Provinz.1 Das war jedoch ein aussichtsloses Unterfangen, denn dabei waren mehr als 1500 Kilometer durch menschenleere Wüste und durch ein Gebiet zurückzulegen, das von einer strikt antikommunistisch eingestellten muslimischen Armee beherrscht wurde. Doch Mao griff den Vorschlag bereitwillig auf und übertrug der jenseits des Flusses gestrandeten Streitmacht Kuo-taos, die jetzt unter der Bezeichnung »Westliches Kon­tingent« geführt wurde, dieses Himmelfahrtskommando.2

Mao gelang es außerdem, dieses Unternehmen noch aussichtsloser zu machen, indem er eine Reihe sich widersprechender Befehle ausgab, die das Kontingent von einem höllenhaften Ort zum anderen trieben und es immer wieder in schwere Gefechte verwickelten.3

Der Kommandant schrieb verbittert, die Aufgaben, die ihm aus Yenan zugewiesen würden, seien »kaum definierbar und wechselhaft«. Im Februar 1937 schickte das Kontingent, das sich inmitten der Wüste befand, ein Telegramm, dass die Truppe nicht mehr lange durchhalten und auch nicht mehr weiterziehen könne, und bat um die Erlaubnis zur Rückkehr nach Yenan. Mao befahl, an Ort und Stelle auszuhalten und »bis zum letzten Mann und bis zum letzten Blutstropfen zu kämpfen«.4

Bis Mitte März war das Kontingent, das einst das Rückgrat von Kuo-taos Armee gewesen war, fast vollständig ausgelöscht. Wer in Gefangenschaft geriet, wurde auf grausame Art umgebracht. Nach einer erbitterten Schlacht im westlichen Gansu wurden mehr als 1000 Mann lebendig begraben. Es gibt herzzerreißende Fotos von einer großen Gruppe ahnungsloser Gefangener, die wenig später niedergemäht wurden.5 Die 2000 Frauen des Kontingents wurden vergewaltigt, einige von ihnen gefoltert und getötet, andere wurden auf dem örtlichen Sklavenmarkt verkauft. Nur etwa 400 Personen aus dem ursprünglich 21800 Männer und Frauen zählenden Kontingent schafften es Ende April schließlich bis nach Xin-jiang, und bei ihrer Ankunft waren sie mehr tot als lebendig.6

Die Vernichtung dieser Streitmacht gab Mao den letzten Nagel zum Sarg Kuo-taos in die Hand. Mao machte Kuo-tao, der sich in Yenan aufhielt, zum Sündenbock, indem er behauptete, das Kontingent sei der »Linie von Chang Kuo-tao« gefolgt.7 Doch Moskau verweigerte Maos Versuch, Kuo-tao aus dem Politbüro zu werfen, seine Unterstützung.8 Dennoch wurde er vor seinen eigenen Offizieren öffentlich angeprangert. Mao beendete nicht nur Kuo-taos politische Karriere, er setzte auch dem Leben der wenigen Angehörigen des Westlichen Kontingents, die es schließlich bis nach Yenan zurückschafften, ein Ende. Ein örtlicher Funk­tionär beschrieb, was geschah:

Sie wurden in unser [Gebiet] getrieben, und wir veranstalteten zunächst ein Begrüßungsfest für sie und nahmen ihre Waffen an uns. Dann sagten wir zu ihnen: »Genossen, ihr habt eine Menge durchge­macht. Ihr werdet jetzt in die rückwärtigen Reihen gebracht, wo ihr euch gut ausruhen könnt.« Wir führten sie gruppenweise in die Talesohle «hinab und begruben all diese Enkel von Schildkröten [d.h. Bastarde] bei lebendigem Leib.Es machte solchen Spaß, sie zu begraben. Zuerst sagten wir mit einem Lächeln: »Genossen, hebt ordentliche Gruben aus, wir wollen Kuo­mintang-Soldaten lebendig begraben.« Sie arbeiteten wirklich hart, Schaufel um Schaufel, und wischten sich den Schweiß aus dem Ge­sicht ... Als sie fertig waren, schubsten und traten wir sie in die Gru­ben. Sie glaubten erst, das sei ein Scherz, doch als wir Erde hinein­schaufelten, fingen sie an zu schreien:»Genossen, wir sind keine Kuomintang-Soldaten!« Wir beschimpften sie: »Ihr Hurensöhne. Uns ist es egal, ob ihr Kuomintang- Soldaten seid oder nicht. Wir wollen, dass ihr sterbt, und ihr werdet sterben ...«9

An dieser Stelle wurde der Prahlhans unterbrochen: »Ich weigere mich kategorisch zu glauben, dass dies ein Befehl der Partei war.« Doch der Mann fuhr fort: »Ach was! Unser Regimentskommandant gab uns den Befehl. Und er sagte, es sei ein Befehl des Genossen Gao Gang [eines örtlichen Führers der Kommunisten], der seinerseits natürlich einem Befehl des Vorsitzenden Mao folge. Wir erkennen nur die Autorität des Vorsitzenden Mao an. Was immer uns der Vorsitzende Mao anweist: Wir tun es.«

Kuo-tao selbst war das Objekt vielfältiger »Quälereien, ... die von Mao inszeniert wurden«, wie er später schrieb.10 .....

Im Frühling 1938 war Kuo-tao am Ende seiner Geduld angelangt. Es war genau jener Zeitpunkt, an dem Maos eigene Machtposition ungewöhnlich schwach war, weil er nicht mit Moskaus Befehl zum Kampf gegen Japan übereinstimmte. Kuo-tao sah eine Chance, sich mit Wang Ming zu verbünden, der Moskaus Standpunkt vertrat. Zu dieser Zeit hielt sich Wang  ebenso wie Chou En-lai und Po Ku in Wuhan auf, der provisorischen Hauptstadt Chiang Kai-sheks.

... Kuo-tao verließ Yenan am 4. April um in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der kommunistischen Region an einer von Kuomintang und Kommunistischer Partei gemeinsam veranstalteten Zeremonie am Grabmal des sagenumwobenen Gelben Kaisers teilzunehmen, das außerhalb des Stützpunktgebiets lag. Nach der Zere­monie fuhr er nach Xian und reiste von dort nach Wuhan weiter, um Wang Ming und seine Mitstreiter zu treffen.

Dies war eine einzigartige Gelegenheit: Die Mehrheit des innersten Füh­rungszirkels der Partei, die ausnahmslos mit Mao im Streit lag, hielt sich zum selben Zeitpunkt außerhalb von Yenan auf, war also vor Maos Zu­griff sicher. (Xiang Ying, Maos schärfster Kritiker, der Befehlshaber der Neuen Vierten Armee, hielt sich in der Nähe von Wuhan auf.) Der Inhalt der Gespräche, die Kuo- tao in Wuhan führte, ist eines der am besten gehüteten Geheimnisse der KPC. Höchstwahrscheinlich plädierte Kuo-tao für die Entmachtung Maos. Yenan berichtete später nach Moskau, Kuo-tao habe »versucht, die Einheit der Partei zu zerstören«, als er in Wuhan war. Doch er verließ die Stadt mit leeren Händen, vielleicht, weil das Wu-han-Trio nicht davon überzeugt war, dass Moskau die Absetzung Maos befürworten würde. Kuo-tao war verzweifelt, doch Wang Ming strotzte vor Selbstvertrauen, denn er konnte sich wohl nicht so recht vorstellen, dass sich hinter Maos scheinbarem Akzeptieren von Mehrheitsentschei­dungen eine wilde Entschlossenheit verbarg, wieder die unangefochtene Führungsrolle einzunehmen.11

Die Gespräche dauerten etwa eine Woche. Als Kuo-tao erkannte, dass er nichts erreichen würde, beschloss er, die KPC zu verlassen und zur Kuo­mintang zu wechseln, was er am 17. April auch tat. Das Wuhan-Trio ließ ihn ziehen. Kuo-tao schrieb an seine schwangere Frau, die er in Yenan zu­rückgelassen hatte, und bat sie, gemeinsam mit dem 12-jährigen Sohn zu ihm zu kommen. Mao hielt die beiden zwei Monate lang zurück, bis er sich vergewissert hatte, dass Kuo-tao keine schweren Schäden anrichtete, dann ließ er sie gehen. Als Kuo-taos Frau nach Wuhan kam, wies Chou sie an, ihrem Ehemann zu sagen, er solle »die Brücken zur Partei nicht abbrechen«. Kuo-tao nahm den Hinweis auf. Er war einst Leiter der Militärabteilung der KPC gewesen und in dieser Funktion unter anderem für die Einschleusung hochrangiger Agenten in die Armee der Kuomintang zuständig, doch er gab den Nationalisten niemals auch nur einen Namen preis. Im Endeffekt tat er nur wenig für sie, und sie waren von ihm enttäuscht. In seiner mehr als tausend Seiten starken Biographie hielt er sich mit Enthüllungen auffallend zurück. Er verließ das chinesische Festland, kurz bevor Mao China eroberte; dass er tatsächlich den Mund hielt, wird auch daraus deutlich: Einem seiner Söhne wurde Mitte der fünfziger Jahre ein Studium an der Universität von Kanton erlaubt. Kuo-tao überlebte Mao und starb 1979 im Alter von 82 Jahren in einem Altersheim in der kanadischen Stadt Toronto. Im Jahr vor seinem Tod war er noch zum Christentum übergetreten.12

Kuo-taos Übertritt zu den Nationalisten ermöglichte es Mao, ihn bei seiner eigenen Armee zu diskreditieren; er wurde umgehend aus der Partei ausgeschlossen. Einige seiner Anhänger in Yenan waren »außerordentlich unzufrieden«, wie der Kuomintang- Geheimdienstchef Tai Li an Chiang Kai-shek berichtete. Sie hielten ein geheimes Treffen ab, worauf Maos Kämpfer »sie alle auf der Stelle liquidierten. Etwa 200 von ihnen wurden lebendig begraben.«11

Moskau wartete zwei Monate lang ab, bevor es den Parteiausschluss billigte.14 In diesen Zeitraum fiel ein für Mao äußerst wichtiger Vorgang: Stalin beendete die Säuberung innerhalb der Komintern. Pjatnitski und Melnikow, die angedeutet hatten, Mao sei ein japanischer Spion, wurden (am gleichen Tag) hingerichtet, und mit ihnen zahlreiche andere, die Verbindungen zu China hatten. Maos Dossier blieb griffbereit im Regal und wurde erst ein Jahrzehnt später wieder hervorgeholt, als Stalin es brauchte. Doch jetzt war Mao erst einmal aus der Schusslinie.15

Als Mao erfuhr, dass der Kreml den Parteiausschluss von Kuo-tao gebilligt hatte und er selbst auf der sicheren Seite war, nahm er sofort Wang Ming ins Visier.

Mao hatte zu diesem Zeitpunkt einen wichtigen Verbündeten in Moskau: Wang Jia-xiang, den »Roten Professor«, seinen alten Mitverschwörer aus der Zeit des Langen Marsches. Mao hatte Moskau - seit der Funkkon­takt im Juni 1936 eingerichtet worden war - heftig bedrängt und mit Bitten eingedeckt, damit der Rote Professor in die Sowjetunion einreisen durfte. Als Vorwand diente eine medizinische Behandlung. Der Rote Pro­fessor kam im Juli 1937 in Moskau an und wurde dort nach Wang Mings Rückkehr nach China zum Vertreter der KPCh. Jetzt, im Juni 1938, rief Mao den Roten Professor per Telegramm in die Heimat zurück. Er leis­tete Mao als Signalgeber einen wichtigen Dienst. Vor seiner Abreise traf er noch Komintern- Chef Dimitrow, und in einem Gespräch über die Einheit der Partei sagte dieser, die KPCh müsse ihre Probleme »unter der von Mao Tse-tung angeführten Parteispitze« lösen.16 Mao sollte diesen seinen Ausdruck benutzen, um sein politisches Schicksal zu wenden - und die Politik der Partei.

Der Rote Professor kehrte Ende August nach Yenan zurück. ….