Auszug: Klaus Blessing „Wer verkaufte die DDR?“ – edition berolina 2016

Lehren und Schlussfolgerungen

Die Beschreibung historischer Abläufe macht dann Sinn, wenn aus ihr Schlussfolgerungen für die Gegenwart und Zukunft gezogen werden. Die Gegenwart ist geprägt von einem sich weltweit weitgehend ungebremst ausbreitenden kapitalistischen System. Die Auswirkungen sind verheerend: Kriege, Terrorismus, Flüchtlinge, Umweltzerstörung, Armut, Hunger. Es liegt auf der Hand, dass grundlegende gesellschaftliche Veränderungen zwingend notwendig sind. Die grundsätzlichen Überlegungen dazu wurden von mir in „Die Sozialistische Zukunft“ publiziert. Es ist jedoch zweckmäßig, aus der Analyse des Ausverkaufs der DDR einige spezielle Schlussfolgerungen abzuleiten bzw. zu unterstreichen.

Eine sozialistische Alternative braucht neue Ziele

Eine sozialistische Alternative kann nicht im Versuch bestehen, den Kapitalismus mit sozialistischen Methoden zu überbieten. Der Krebsschaden des Ausverkaufs der DDR an die BRD lag in der politischen Grundorientierung, die BRD auf dem Gebiet der Konsumtion und der Produktivität nicht nur einzuholen, sondern zu überholen. Mit dieser Grundorientierung sollte - auch in der DDR – eine Konsumgesellschaft sozialistischer Prägung gestaltet werden. Mit dieser Gesellschaftsphilosophie war die DDR ständig in einer Position des „Hinterherlaufens“ gegenüber der auf diesem Gebiet führenden BRD. Dieser Wettlauf konnte nicht gewonnen werden, er war vom Ansatz unrealistisch und damit falsch. Er zog sich jedoch von Ulbricht über Honecker bis zum Ende der DDR als Gesellschaftsdoktrin durch. Die politische Führung der DDR hatte keinen Mut gegenüber dem Volk zu erklären oder auch nicht erkannt, dass sie sich damit auf dem Holzweg befindet.

Eine dringend notwendige sozialistische Alternative für Gegenwart und Zukunft muss diese eingeschränkte Herangehensweise überwinden und die eigenständigen Merkmale einer sozialistischen Gesellschaft ins Zentrum stellen: Frieden, Solidarität, Gerechtigkeit, Gleichheit, Arbeit. Die Abrichtung des Menschen zum „Konsumtrottel“ muss überwunden und der denkende Mensch in die Gestaltung der Gesellschaft aktiv einbezogen werden.

 

Mit dieser Auffassung bin ich weder theoretisch noch praktisch alleinstehend. Der verstorbene DDR-Ökonom Harry Nick kommt zu der Aussage: „In den sozialistischen Planwirtschaften war kein Kraut gegen die Kraft und Macht wirtschaftlicher Antriebe gewachsen, wie sie die kapitalistischen Marktwirtschaften hervorbringen. Ob das überhaupt möglich ist, bezweifle ich heute. - Ich auch. K.B.

Entscheidend wird künftig nicht das Tempo des Wirtschaftswachstums und der technologischen Entwicklung sein, sondern eher im Gegenteil eine gesamtwirtschaftliche  und in globalen Maßstäben kontrollierte, gelenkte Entwicklung.

WIE WOLLEN WIR LEBEN? Es ist die Frage aller Fragen, auch die aller sozialistischer Wertvorstellungen, Bewegung und Ziele. . . . Sie permanent vernachlässigt zu haben, gehört zu den Erbsünden der Linken.. . . Der einzige und zugleich naheliegende, ja selbstverständliche Weg wurde nicht beschritten….Die zentrale Frage jedenfalls, die in der Wendezeit dem Volke nicht nur zur Diskussion, sondern auch zur Entscheidung hätte vorgeschlagen werden müssen, hätte nur lauten können: Wie wollen wir leben? Was müssen wir tun, verändern, wenn wir dieses Gemeinwesen erhalten wollen? Was wollen und müssen wir aufgeben für die Segnungen der Marktwirtschaft, die „harte D-Mark“?

Nicht die Gesellschaften mit der größeren Kinderfreundlichkeit  und mehr sozialer Gerechtigkeit haben gesiegt auf dem Felde des Wirtschaftswachstums und der technologischen Entwicklung, sondern die Gesellschaften, die Gier und Angst als Antriebe verwenden.

Die marxistisch orientierte Linke muss ihr Verständnis von Produktivkraftentwicklung und gesellschaftlichem Fortschritt überprüfen. Es gilt, Wege, Kriterien zu finden, die Produktivkraftfortschritt als Erleichterung, Verbesserung menschlichen Lebens ansehen, anstreben. An der Steigerung des BIP gemessenes Wirtschaftswachstum, an üblichen Kriterien gemessene technologische Fortschritte jedenfalls entfernen sich immer mehr vom wirklichen Maß des Produktivitätsfortschrittes.

Am Anfang aller Überlegungen über eine lebenswürdige und lebensfähige sozialistische Gesellschaft muss die Frage stehen: Wie wollen und wie können wir leben? Mit dem in den kapitalistischen Marktwirtschaften durch Profitgeilheit und aggressive Reklame induzierten, exzessiven Konsumismus ist jeder Sozialismus undenkbar, nicht machbar.“[1]

Auch Margot Honecker erklärt in einem aktuellen Interview dazu:[2] „Offensichtlich haben wir es nicht verstanden, den tatsächlichen gesellschaftlichen Fortschritt gegenüber der auf Ausbeutung, Unterdrückung und Krieg beruhenden kapitalistischen Gesellschaft den Menschen überzeugend bewusst zu machen. So meinten viele, die glitzernde Warenwelt des Kapitalismus und die soziale Sicherheit des Sozialismus miteinander verbinden zu können.“

Wenn sich Linke endlich zu dieser alternativen Auffassung mit allen daraus notwendigen Konsequenzen durchringen können, müssen sie auch ihre Wertungen und Schlussfolgerungen darauf ausrichten. Es macht wenig Sinn, einen derartig menschlichen Sozialismus an kapitalistischen Werturteilen von Mangelwirtschaft, Produktivitäts- und Effektivitätsrückständen zu beurteilen.

Es ist erfreulich, dass es Länder in der Welt gibt, die dieses erkannt haben. Raffael Correa - Präsident Ecuadors schätzt berechtigt ein: „Der vielleicht größte Fehler des traditionellen Sozialismus war es, das kapitalistische Entwicklungskonzept nicht in Frage zu stellen – man wollte dasselbe nur schneller und gerechter. – Unser Konzept ist das gute Leben, das Leben in Einklang mit der Natur, in Würde, mit Gleichheit.“

Der Botschafter der Republik Ecuador in Deutschland sagte mir in einem Interview:

Meine Frage: Möchten Sie noch etwas besonders hervorheben?

Antwort: Ja, das „Buen Vivir“, unser Konzept des guten Lebens. Es ist ein weiterer Unterschied des anderen Weg.

Meine Bemerkung: Das ist meines Erachtens der entscheidender Unterschied.

Antwort: Ja, das stimmt. Es gibt nicht nur physische Grenzen des Wachstums. Nicht jeder sollte seinen eigenen Wagen besitzen oder gar mehrere. Maximaler Konsum kann nicht das Lebensziel sein. Wir haben uns auf unsere Wurzeln zurück besonnen. Unsere Indigene Gesellschaft hat seit Jahrtausenden eigene Kulturen, die älter als Inkakulturen sind, Diese haben immer einen Weg gesucht, im Gleichgewicht mit der Umwelt zu leben. Das ist das Hauptmerkmal des „guten Lebens“. Ecuador ist ein gesegnetes Land mir vielen Ressourcen. Darauf könnte sich ein gutes Leben aufbauen, wenn wir nicht auch in das Konsummodell gedrängt werden.

 

Wichtigster Schritt: Finanzkapital entmachten

Die Zerschlagung der DDR-Wirtschaft durch eine „gemeinsame“ Währung unterstreicht die tödliche Wirkung  einer Einheitswährung bei  grundsätzlich unterschiedlichem Wirtschaftsniveau. Damals wie heute wird diese ökonomische Waffe vom internationalen Kapital zielgerichtet eingesetzt, um national unterentwickelte Volkswirtschaften zu zerschlagen. Es bleibt die Notwendigkeit, in sozialistisch orientierten Volkswirtschaften eine gemeinsame sozialistische Währung zu etablieren, die der Kapitalspekulation entzogen wird.

Es ist angebracht, hieraus hochaktuelle Gedanken aus der „Griechenlandkrise“ abzuleiten. Die „Griechenlandkrise“ ist keine Krise Griechenlands. Es ist die Krise des Systems und der Versuch des Kapitals und der von ihm abhängigen Politik zu testen, wie weit die Ausbeutung ganzer Staaten getrieben werden kann. Es ist deshalb alarmierend, dass die Diskussion über die „griechischen Verhältnisse“  sich an Erscheinungen und Personen festmacht, ohne in das Wesen der Probleme einzudringen- Die unterschiedlichen und häufig kontrovers diskutierten „Lösungsvorschläge“ bewegen sich innerhalb systembedingter Denkweisen (Grexit, Schuldenschnitt, Schuldenstreckung…) und lenken von den grundlegenden Problemen ab. „Linke“ Debatten verfolgen meist das gleiche Muster.

Die dem griechischen Volk durch die EU-Instanzen auferlegten Lasten und im Gegenzug zugestandenen neuen Kredite lösen keines der Probleme, sondern verschärfen diese für die nächste Zeit: Die Schuldenlast steigt weiter, die Wirtschaftsleistung sinkt, die Belastungen des Volkes werden immer unerträglicher. Ausreichung neuer Kredite mit Verzinsung zur Tilgung alter Kredite bei gleichzeitig extremen Sparauflagen sind ein perverses Paradoxon. Dem darf nicht gefolgt werden. Der Ukrainische Ministerpräsident – sicher kein Sympathieträger -, der vor ähnlichen Problemen steht, erklärt: Sein Land wird keine weiteren Schulden aufnehmen, um alte Verbindlichkeiten zu tilgen. Das wurde offenkundig von den „Geldgebern“ aus politischen Gründen akzeptiert, die linke griechische Regierung wurde statt dessen erpresst.

Jede linke Regierung, die legitim an die Macht kommt, sollte, lernend aus der griechischen Erfahrung als ersten Schritt für das Land Kapitalverkehrskontrollen beschließen. Der Abfluss des Reichtums in das Ausland und die Abhebung großer Geldbeträge für dunkle Geschäfte ist dadurch zu unterbinden. In nachfolgenden Schritten sollten die übergroßen Reichtümer abgeschöpft und für die Allgemeinheit nutzbar gemacht werden.

Gleichzeitig sind die aufgelaufenen Staats-„Schulden“ zu analysieren. Schulden, die durch Erpressung, Korruption, auf Druck ausländischer Mächte und anderer unlauterer Methoden entstanden sind, sind als nicht tilgbar zu deklarieren und auszusondern. Erfahrungen lateinamerikanischer ALBA-Staaten könnten dafür genutzt werden.

Die griechischen Erfahrungen mit der EU und den Finanzorganen zeigen, dass gleichberechtigte Verhandlungen nicht möglich sind. Vernunft  und Anerkennung demokratischer  Abläufe werden im Interesse des Kapitals außer Kraft gesetzt. Die Macht der Finanzorgane wird zur Erpressung eingesetzt. Die „Schuldnerstaaten“ müssen sich deshalb aus der Umklammerung dieser Institutionen befreien und andere Finanzquellen erschließen. Dafür bieten sich vorrangig BRICS-Staaten, insbesondere China und Russland, aber auch andere asiatische Länder und Organisationen an.

Die Befreiung vom Diktat der EU erfordert andere politische Orientierungen. Im Falle Griechenland wären eine stärkere Anbindung an Russland und China, einige Balkanländer und die Verbesserung der Beziehungen zur Türkei politische Optionen, die bei den Machthabern in der EU die Alarmglocken schrillen ließen und diese zu Zugeständnissen zwingen.

Die ständige Beschäftigung demokratisch gewählter Regierungen mit buchhalterischen und juristischen Abläufen hält progressive Regierungen von politischer Tätigkeit ab, was sicherlich auch ein Ziel der „Geldgeber“ ist.

Die zeitweilige Einführung einer eigenen, nicht konvertierbaren Binnenwährung zur Sicherung der Versorgung der Bevölkerung und der Stabilität der Preise unter staatlicher Kontrolle wäre durchaus eine Option, mit der ein Land zeitweise leben und eine stabile wirtschaftliche und soziale Entwicklung einleiten kann.

Die notwendigen Importe könnten durch gezielte Währungseinnahmen durch Exporte und im Falle Griechenland vorrangig den Tourismus gesichert werden. Durch staatlich festgelegte Umtauschkurse könnte der Tourismus lukrativ gestaltet werden. Angesichts der sich immer mehr verschärfenden Sicherheitslage rund um das Mittelmeer könnte Griechenland um so mehr zu einem touristischen Zentrum werden, je mehr es sich dem Einfluss des westlichen Kapitals und der westlichen Politik entzieht. Dem Terrorismus würde dadurch weitgehend begegnet.

Kein Land kann sich vom Weltmarkt abschotten. Notwendiges know-how und ausländische Investitionen sind unverzichtbar. Es ist jedoch zu unterbinden, dass dafür ausländisches Kapital in das Land fließt. Aus den Erfahrungen der DDR ist zu nutzen, Objekte und Leistungen als „Kompensationsgeschäfte“ durchzuführen. Das heißt: Der ausländische Partner errichtet das Objekt, erlangt aber daran keinerlei Eigentumstitel. Die verausgabten Mittel werden aus den Objekten „refinanziert“.

Da absehbar ist, dass sich die „griechischen“ Probleme sowohl in Griechenland selbst als auch in anderen „Schuldnerländern“ kurzfristig und verschärft wiederholen, sind internationale Gegenmaßnahmen notwendig. Es wäre notwendig, mit Griechenland, Spanien, Portugal, den ALBA-Staaten und linken Erfahrungsträgern aus Deutschland konsultative Beratungen und Erfahrungsaustausche zu organisieren.

 

 

Mit dem Kapital kann man nicht verhandeln – man muss es erpressen

Die Gesamtentwicklung des Unterganges der DDR zeigt die Rolle des subjektiven Faktors.

Vertreter des Kapitals mögen – wenn es dem Zweck dient – durchaus gepflegte Umgangsformen haben und als eloquente Personen auftreten. In Einzelfällen mögen sie auch durchaus redliche Absichten verfolgen. Ihnen aber deswegen auf den Leim zu gehen, sich geschmeichelt fühlen, mit derartigen „Persönlichkeiten“ aus Politik und Wirtschaft auf Augenhöhe verhandeln zu können, wie das offenkundig bei mehreren Führungspersonen der DDR der Fall war, ist für die Sache tödlich. Vertreter des Kapitals sind Kapital-Vertreter und haben ein Ziel: Dieses Kapital zu mehren. Die Umgangsformen, um dieses Ziel zu erreichen werden der Lage und dem Kräfteverhältnis angepasst. Im Falle der DDR wahrte man (weitgehend) annehmbare Umgangsformen, man war sich ja seiner Sache noch nicht ganz sicher und musste Leitungskader der DDR mit „Zuckerbrot“ für sich und die eigene Sache gewinnen. Brutale Erpressung und Demütigung dabei nicht ausgeschlossen.

Wie letzteres geht, beschreibt der ehemalige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis. In seinem Fall, waren sich die „Verhandlungspartner“ der Sache sicher. Sie hatten alle Trümpfe der Erpressung in der Hand – Zudrehen des Geldhahnes. Dann ging es auf Spitzenebene so zu:

Die Mächtigen sprechen direkt mit dir, und dann ist es so wie man befürchtet, sogar noch schlimmer als man es sich vorgestellt hat. …. Worauf spielen sie an? Das vollständige Fehlen demokratischer Skrupel untere den angeblichen Verteidigern der europäischen Demokratie…. Und dann schauen dir sehr mächtige Personen in die Augen und sagen: „Sie haben recht mit dem, was Sie sagen, aber wir werden Sie trotzdem zerquetschen….. Sie stellen ein Argument vor, an dem Sie wirklich analytisch gearbeitet haben – um sicher zu gehen, dass es logisch kohärent ist-, und dann schauen Sie lediglich in leere Gesichter. Sie hätten genauso gut die schwedische Nationalhymne singen können – Sie hätten dieselbe Antwort bekommen. … Man hat nicht einmal Genervtheit gespürt, es war so, als ob man einfach nichts gesagt hätte…. Wolfgang Schäuble war die ganze Zeit konsistent. Seine Sicht lautete: „Ich diskutiere das Programm nicht – es wurde von der Vorgängerregierung akzeptiert und wir können unmöglich erlauben, dass eine Wahl etwas verändert.(!)…. An diesem Punkt musste ich dazwischen gehen und sagen: „Okay, dann sollten wir vielleicht einfach keine Wahlen in verschuldeten Ländern mehr abhalten.“ Und es gab keine Antwort.

 

Die Versuche und Illusionen führender Persönlichkeiten der DDR, mit dem kapitalistischen „Partner“ gleichberechtigte Verhandlungen und Vereinbarungen „zum gegenseitigen Vorteil“ zu führen, haben sich als Bumerang erwiesen. Mit dem Kapital kann man nicht zum gegenseitigen Vorteil „verhandeln“, man muss es erpressen, um zu nützlichen Ergebnissen zu kommen. Die DDR hatte gegenüber der BRD kein Erpressungspotential mehr, sie war durch die politische Entwicklung, Falschinformationen aus den eigenen Reihen und Illusionen einiger Führungskräfte der Erpressung des politischen Gegners mehr oder weniger hilflos ausgeliefert.

Diese Erkenntnis durch bestimmte Personen (gruppen) der DDR ignoriert zu haben, führte dazu, dass gesellschaftliche Entwicklungen außer Kontrolle gerieten und die DDR letztlich in der BRD landete. Eine gesellschaftliche Kontrolle und Rechenschaft der Führungspersönlichkeiten für ihre Handlungen erscheint zwingend notwendig.

 

Gerade diese Erkenntnis ist für die Gegenwart offenkundig von gravierender Bedeutung. Die demokratisch legitimierte griechische Regierung erlag offensichtlich auch der Illusion, mit dem Kapital verhandeln zu können. Ihr, dem griechischen Volk und der Welt wurde drastisch vorgeführt, dass es dafür nicht den geringsten Spielraum gab.

 

„Die Institutionen“, Merkel, Schäuble und Co. diktierten im Auftrag des internationalen Kapitals Inhalt und Spielregeln. Dabei hätte Griechenland erhebliches Erpressungspotential zum Einsatz gehabt: Blockierung von Sanktionen gegen Russland, alternative Finanzierungsquellen aus Russland, China, Ölstaaten und letztlich andere Militärbündnisse als die NATO. Es wurde aus welchen Gründen auch immer nicht eingesetzt.

Die Entwicklung in der DDR – und heute aller vom internationalen Kapital abhängigen Staaten – zeigt: Je höher der Verflechtungsgrad der nationalen Volkswirtschaft mit kapitalistischen Märkten, desto höher die Abhängigkeit von diesen. Daraus folgt nicht, nationale Wirtschaften autark zu machen. Daraus folgt aber, möglichst einheitliche sozialistische Märkte zu schaffen. Woraus wieder folgt, dass sozialistische Alternativen nicht in einem Land, sondern nur in größeren Ländergruppen möglich sein werden. Daraus folgt insbesondere, die mit kapitalistischen Ländern unumgänglichen wirtschaftlichen Verflechtungen nicht auf der Basis von Kapitalimporten, sondern des Warenaustausches durchzuführen.


 

 

 

Volksvermögen erhalten

Die Abwicklung der DDR und die schnelle und gierige Überführung des Volksvermögens der DDR in die Privathände bundesdeutscher Kapitalisten unterstreicht die zentrale Stellung des Eigentums bei der Gestaltung der Gesellschaftsordnungen: Privateigentum ist Kapitalismus – Gesellschaftliches Eigentum Sozialismus. Es war ein tödlicher Fehler besonders in der Übergangszeit 1989/90 diese elementare Erkenntnis zu negieren und durch Privatisierung des Volksvermögens dem bundesdeutschen Kapital Tür und Tor zu öffnen. Neue sozialistisch orientierte Gesellschaften benötigen zwingend einen dominierenden Anteil gesellschaftlichen Eigentums in unterschiedlichen Formen.

Das Wüten der Treuhandanstalt  bei der Überführung von Volkseigentum in Privatbesitz ist negativ beispielgebend auch für die gegenwärtigen Vorgänge in Griechenland. Es dient allein dem Ziel, die Reste staatlichen Besitzes in die Hände des Privatkapitals zu überführen.

Im Jahre 2011 bat mich die griechische Zeitschrift „Cosmos“ um ein Interview über die Tätigkeit der Treuhand und stellte u.a. folgende Fragen:

Herr Blessing, wir haben vor allem deshalb über das Wirken der Treuhand gesprochen, weil die DDR damals unter der Schuldenlast zusammengebrochen ist und Griechenland heute vor ähnlichen Problemen steht. Sehen Sie Parallelen?Ja und nein. Zunächst einmal, es stimmt nicht, dass die DDR an der Schuldenlast zusammengebrochen ist, auch diese Aussage gehört in das Reich der gezielten Legenden. Nach offiziellen Abschlussdokumenten hatte die DDR gegenüber den kapitalistischen Ländern 1989 eine Verschuldung von 20 Milliarden DM – nachgewiesen von der Deutschen Bundesbank. Dem standen Guthaben in den RGW-Ländern in annähernd gleicher Größenordnung gegenüber. Die DDR hatte also summa summarum überhaupt keine Auslandsschulden. Die Staatsverschuldung betrug – hoch gerechnet, es gibt da unterschiedliche Aussagen – maximal 5.000 Euro je Kopf der Bevölkerung. Die größer gewordene Bundesrepublik hat heute eine Schuldenlast von annähernd 25.000 Euro je Kopf der Bevölkerung, die Ihres Landes kennen Sie besser als ich. Die Parallele zwischen der DDR und Griechenland besteht darin, dass in beiden Fällen ausländische Mächte und das internationale Kapital nach den Errungenschaften des Volkes greifen. Im Falle DDR ist das leider gelungen, weil große Teile der DDR-Bevölkerung mit den politischen Verhältnissen unzufrieden waren – mangelnde persönliche Freiheiten, ungenügende Einbeziehung des Volkes in politische Entscheidungen.

Im Falle Ihres Landes nutzt das internationale Kapital – soweit ich das beurteilen kann – Ihre Schuldenprobleme, um Zugriff zu staatlicher Souveränität und letztlich Eigentum zu erlangen. Ich muss aus den bitteren Erfahrungen der Überführung der DDR-Wirtschaft in die Privatwirtschaft – nicht nur, aber doch in starkem Maße durch das Wirken der Treuhandanstalt – davor warnen, die staatliche Souveränität und staatliches Eigentum dem Diktat der EU, des IWF und der Weltbank zu opfern. Die Werktätigen der DDR haben leider nicht die Kraft aufgebracht, um ihr Eigentum und ihre sozialen Errungenschaften zu kämpfen. Sicher auch deshalb, weil sie sich ungenügend mit „ihrem“ Eigentum verbunden fühlten. Ich wünsche dem griechischen Volk, dass es die Kraft zur Verteidigung des staatlichen Eigentums und der sozialen Errungenschaften – auch im Interesse und als Beispiel für ganz Europa – aufbringen möge.

Abschließend: Sie sind also nicht der Meinung, dass man aus dem Wirken der Treuhand Schlussfolgerungen für die Bewältigung der griechischen Krise ziehen kann? Doch, die kann man ziehen: Es ist das Beispiel, wie man es nicht machen kann und soll. Die „griechische Krise“, die ja keine griechische Krise ist, sondern die des gesamten vom Kapital dominierten Systems, kann nur bewältigt werden, wenn die Schulden dadurch abgebaut werden, dass das Geld dort abgezogen wird, wo es im nutzlosen Überfluss vorhanden ist. Vor wenigen Tagen wurde mit dem „Global Wealth 2011- Report“ von Boston Consulting veröffentlicht, dass in der Welt in Depots und auf Konten 122 Billionen Dollar lagern, mehr als in den Jahren vor der Weltwirtschaftskrise. Das sagt alles über Ursachen und Auswege aus der Krisensituation.

Gesellschaftliche Veränderungen erfordern revolutionäre Umbrüche

Die negativen Erfahrungen aus der Endphase der DDR zeigen, dass ein neues Gesellschaftssystem grundlegende Wandlungen in den Macht- und Eigentumsverhältnissen erfordert. Der politische Gegner hat das – ohne den Marxismus-Leninismus studiert zu haben -, verinnerlicht und brutal umgesetzt. Er wusste, wohin die Reise gehen soll. Die sozialistisch orientierte DDR sollte bedingungslos in den Machtbereich der kapitalistischen Bundesrepublik zurück geholt werden. Die politischen, ökonomischen und juristischen Strukturen wurden von dieser übernommen. Macht- und Eigentumsverhältnisse waren auf diese zu übertragen. Heutige Linke träumen davon, erst mal auf den Zug aufzusteigen, um dann zu sehen wohin er fährt. Konkrete Vorstellungen, welches Ziel sie erreichen wollen haben sie nicht. Es soll ein „demokratischer“, „ökologischer“, „feministischer“, „lustvoller“ „Sozialismus 2.0“ sein. Wie dieser konkret aussehen soll, bleibt offen. Das trifft auch auf die europäische Linke zu. Das Scheitern der Griechischen Syriza ist vorrangig darauf zurück zu führen, dass auch sie nicht wussten, wo die Reise eigentlich hingehen sollte. Das Mitschwimmen im bestehenden System mit dem Ziel, diesem Zugeständnisse im Interesse der Mehrheit der Menschen abringen zu können, erwies sich als Illusion. Sie wird immer eine bleiben.

Der Einverleibung der DDR in den Herrschaftsbereich der Bundesrepublik lagen klare, seit Jahrzehnten vorbereitete Handlungsschritte zugrunde. Das Werkzeug zur Rückführung einer sozialistischen in eine kapitalistische Gesellschaftsordnung lag bereit. Die heutige Linke hat – da sie über kein klares Ziel verfügt – logischer Weise auch keine Instrumente zur Verfügung. Das zentrale Problem des Scheiterns der griechischen Bewegung war, dass keine Instrumente vorlagen, um der Allmacht des Finanzkapitals zu begegnen. Man „verhandelte“ mit diesem, Ergebnis bekannt. Es ist nicht zu verschweigen, dass in linken (deutschen) Kreisen durchaus theoretische Vorstellungen bestehen, wie man die Macht des Finanzkapitals eingrenzen könnte. Sie sind aber weder ausgereift, noch ausdiskutiert und erst recht nicht den Menschen nahe gebracht. Man braucht kein Hellseher zu ein, um voraus zu sagen, dass die nächste Finanzkrise in nicht ferner Zeit erneut zuschlagen und auch Deutschland treffen wird. Es wäre Anlass, um Menschen für erste Schritte zu sozialistischen Umgestaltungen zu gewinnen. Dazu liegt jedoch nichts Verwertbares vor.

Ohne Ziel und Weg können aber Menschen nicht mobilisiert werden. Die Aussage der Führung der Partei DIE LINKE: „Wir haben aber keine revolutionäre Situation“ ist eine Tautologie. Von alleine kommt diese nicht. Die objektiven Widersprüche werden weiter zunehmen, die Linken stehen diesen mehr oder weniger konzeptionslos gegenüber. Statt dessen buhlt man mit allen Methoden um Regierungsbeteiligung. Glaubt nach den griechischen Erfahrungen Jemand ernsthaft, dass mit Regierungsbeteiligung gesellschaftliche Veränderungen im Interesse der Menschen möglich sind?

Heutige Linke negieren diese einfachen und für Jeden an Hand der historischen Entwicklung nachvollziehbaren Erkenntnisse weitgehend. Ich habe mich mehrfach prinzipiell gegen derartige Auffassungen gewandt.[3] Wirkliche gesellschaftliche Veränderungen sind nur möglich, wenn linke Bewegungen ein klares sozialistisches Ziel verfolgen, Handlungsschritte dazu ausarbeiten und damit Menschen mobilisieren. Von allem sind wir im linken Spektrum meilenweit entfernt. Dabei haben es uns die reaktionärsten Kreise der BRD – assistiert von „verirrten“ Linken – doch im negativen Sinne vorgemacht: Ein klares Ziel definieren und „wissenschaftlich“ begründete Handlungskonzepte dazu ausarbeiten.

Diese historische Aufgabe muss die linke Bewegung endlich anpacken: Raus aus der ideologischen Sackgasse und Zersplitterung! Wenn die Partei mit dem anspruchsvollen großbuchstabigen Namen DIE LINKE dazu nicht fähig und gewillt ist, sind andere linke Kräfte – auch und besonders außerparteiliche und außerparlamentarische - gefordert.



[1] Harry Nick „Ökonomiedebatten in der DDR“ GNN-Verlag 2011, Seite 95 ff.

[2] Junge Welt vom 11. November 2015

[3] Siehe insbesondere Schlusswort auf der Konferenz des OKV, dokumentiert in „Gefährliche Illusionen – die Transformationspolitik in der Kritik“ verlag am park 2015, Seite 154 ff.